Aufstieg und Absturz mit A-Be-eM

■ Im Westen bewährt - im Osten benötigt: Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Drastische Kürzungen gefährden die soziale und kulturelle Infrastruktur.

Aufstieg und Absturz mit A-Be-eM

Hans-Jürgen Schütt, seit eineinhalb Jahren Pressesprecher des Arbeitslosenverbandes, wird am 31.Juli dieses Jahres arbeitslos. Ausgerechnet an seinem 48. Geburtstag läuft seine ABM-Stelle aus. Für eine Verlängerung der Arbeitsbeschaffungsmaßnahme sieht er „keine Chance“. Auch andere MitarbeiterInnen des Arbeitslosenverbandes wird es im Lauf des Jahres treffen. 1.500 ABM-Kräfte beschäftigt der Verband gegenwärtig, unter anderem in 320 Arbeitslosenzentren in ganz Ostdeutschland. Sie beraten Arbeitslose nicht nur, auf welche Leistungen des Arbeitsamtes sie Anspruch haben, sondern auch, ob ihre Kündigung rechtens war und wie sie eine Bewerbung abfassen. Allein in den 15 Ostberliner Beratungsstellen nutzen 2.000 bis 3.000 BürgerInnen pro Monat das Angebot. Zwei der Zentren stehen vor dem Aus. Im Stadtteil Prenzlauer Berg laufen alle drei ABM-Stellen Ende Januar aus, in Berlin-Pankow werden alle vier MitarbeiterInnen arbeitslos. „Pankow werden wir schließen müssen“, sagt die Berliner Landesvorsitzende des Arbeitslosenverbandes, Irina Pfützenreuter. Eine „Katastrophe“ sei das vor allem wegen der Jugendarbeit.

Statt für Geld nun unbezahlt

Die MitarbeiterInnen bauten eine Fahrradwerkstatt auf und organisierten mehrere Ferienlager für Kinder von Arbeitslosen. Da gab es einen „ungeheuren Bedarf“, so Pfützenreuter. Ein Antrag auf Dauerförderung sei vom Berliner Senat abgelehnt worden, weil schon genug Jugendprojekte im Bezirk tätig seien. Die Arbeitslosenberatung Prenzlauer Berg könne man „in etwas kleinerem Umfang“ erst einmal weiterführen, weil sich alle MitarbeiterInnen bereit erklärt hätten, unbezahlt weiterzuarbeiten, bis sie einen neuen Job gefunden haben. Der Verband bemüht sich nun, für einen Teil der Stellen eine dauerhafte Finanzierung zu finden. „Es geht nicht, die Beratung mit einer komplett neuen Belegschaft weiterzuführen. Die Leute müssen erst eingearbeitet werden, und es sind ja auch Vertrauensverhältnisse zu den Ratsuchenden entstanden“, sagt Irina Pfützenreuter.

Das ersatzlose Auslaufen der ABM-Stellen stellt auch die 125 Sozialstationen der Arbeiterwohlfahrt in Ostdeutschland vor Probleme. Einer internen Erhebung zufolge sind 78,5 Prozent des Hauspflege-Personals ABM- Kräfte. Von den insgesamt 1.000 Beschäftigten mußten Ende Dezember 600 ABM-Kräfte entlassen werden. „Das bedeutet, daß wir den Hauswirtschaftsbereich extrem einschränken müssen“, umreißt Ulrich Wittenius von der AWO die Folgen. Ältere Menschen, die Hilfe brauchen beim Putzen, Einkaufen oder Beheizen ihrer Kohleöfen, können nicht mehr betreut werden. Dabei sei es bereits im letzten Winter „mehrfach vorgekommen“, daß alte Menschen ins Krankenhaus eingewiesen werden mußten, weil niemand da war, um ihre Wohnungen zu beheizen. Aussicht auf eine Verlängerung der AB-Maßnahmen besteht kaum. Nun sind ABM-Stellen auch nicht dazu gedacht, auf Dauer Aufgaben der Kommunen zu übernehmen. „Wir brauchen einen vernünftigen Übergang von ABM zu Dauerarbeitsplätzen“, stellt Wittenius deshalb fest. „Dazu müssen sich Krankenkassen, Kommunen, die Träger und die Arbeitsverwaltung an einen Tisch setzen.“ Bisher seien solche Gespräche aber „noch nicht ernsthaft betrieben worden“.

Die Kommunen sind angesichts leerer Kassen daran interessiert, daß Träger ihre Stellen mit ABM- Kräften besetzen. Doch nachdem der Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit bei ABM um 1,1 Milliarden Mark gekürzt wurde, können in diesem Jahr deutlich weniger ABM-Stellen vergeben werden. In Ostdeutschland werden es 1993 im Jahresdurchschnitt 300.000 Stellen sein, statt 388.100 im Vorjahr. In Westdeutschland stehen Mittel für 65.000 ABM-Kräfte zur Verfügung. 1992 waren es noch 78.100. Doch nicht nur die Zahl der ABM- Stellen wird reduziert, auch die Konditionen haben sich verschlechtert.

ABM wird mehr kosten

In Ostdeutschland wird ein 75- bis 90prozentiger Lohnkostenzuschuß nur noch gewährt, wenn die Arbeitszeit auf 80 Prozent verringert wird oder wenn ein auf 90 Prozent abgesenkter Tariflohn gezahlt wird. Wer ohnehin nur 60 Prozent des Westlohns erhält, kommt bei einer um ein Fünftel reduzierten Arbeitszeit nur noch auf 56 Prozent des Westlohns. Dazu kommt, daß das Sonderprogramm für Sachmittel Ende 1992 ausgelaufen ist. Selbst in der Bundesanstalt für Arbeit rechnet man damit, daß es schwieriger wird, zu diesen Bedingungen Projektträger und ABM- Willige zu finden.

Viele Projekte in Ostdeutschland wurden ausschließlich von ABM-Kräften aufgebaut. Mit dem Auslaufen der ABM-Stellen drohen sie ebenso schnell zu verschwinden wie sie entstanden sind. Ein „schleichendes Absterben“ konstatiert Rainer Blankenburg vom Interessenverband Kultur, einem Zusammenschluß von 150 Kulturprojekten in Ostberlin. 40 Prozent der Initiativen sieht er noch in diesem Winter akut gefährdet. Wenn im Laufe des Jahres die übrigen der 4.000 bis 5.000 ABM-Stellen im Kulturbereich auslaufen, werden weitere Projekte dicht machen müssen. Der Interessenverband Kultur sieht eine Möglichkeit, die Projekte mit einem Drittel der jetzigen ABM- Stellen auf Dauer zu sichern. Schätzungsweise wären dafür 40 bis 44 Millionen Mark notwendig. Ein Dilemma bliebe aber, wie Blankenburg feststellt: „Eine kontinuierliche Arbeit ist mit ABM- Stellen nicht möglich.“ Dorothee Winden