In der Oper „verliert die Frau in jedem Fall“

■ Feministische Entzifferung der musikalischen Sprache: Geschlechterrollen in der Operngeschichte / Das Verbot weiblichen Begehrens

Frau mit

Kragen+

Pulli

Eva Rieger

Sie kam mit einem ganzen Stapel Musikcassetten für Hör- Beispiele und trug Spannendes vor zum Thema „Geschlechterrollen in der Oper“: Eva Rieger, Bremer Musikwissenschaftlerin, erklärte in der Reihe „Uni für alle“, was es auf sich hat mit den „guten“ und „bösen“ Frauengestalten der Oper und ihren Arien. Und sie wies nach, wie sich patriarchalische Geschlechterrollen-Zuweisung kompositorisch durchgesetzt hat: mit der Analyse von Tonumfang, Tempo, Rhythmus, Melodielinien. Für die taz erklärte sie einige ihrer Forschungsergebnisse.

taz: Frauengestalten in der Oper: sie weinen, werden gedemütigt, verachtet, verlassen, getötet — sie leiden. Ihr Schicksal hat sich aber in der Musikgeschichte sehr verändert.

Prof. Eva Rieger: In der Barockzeit durften Frauen stark sein und mächtig, durften auch Wut und Eifersucht zeigen. Aber dann in der Deutschen Oper im 19. Jahrhundert war das vorbei. Bei Monteverdi und Händel gibt es noch die Figur der Herrscherin, die sexuell selbstbestimmt einen Geliebten hat und mit Wut und mit Moddrohungen reagiert, wenn der ihr weggenommen wird. Diese Frauenfiguren waren noch nicht typisiert, Monteverdis 'Arianna' erschöpft sich nicht in lyrischen Klagen, sondern schreit ihre Verzweiflung heraus.

Das war dann mit Einsetzen der Geschlechterrollen-Ideologie anders. Da teilen sich die Rollen in gute und böse Frauen. Die mächtige Frau, die positive Elemente hat, gibt es plötzlich nicht mehr. Im Laufe des 18. Jahrhunderts verschwinden die kämpferischen Frauen aus den Opern, werden verteufelt oder als erotisch gefährlich eingestuft und umgebracht oder verjagt (Königin der Nacht).

In Monteverdis „Die Krönung der Poppea“, übrigens die erste machthungrige und sinnliche Frau der Operngeschichte, wird die betrogene Ehefrau 'Ottavia' bei ihrem Befehl, die Rivalin 'Poppea' umzubringen, noch ausgestattet mit dem gebrochenen Dreiklang aufwärts, ein musikalisches Mittel, um Befehle zu unterstreichen. Der Dreiklang aufwärts ist symptomatisch für die späteren „Mannheimer Raketen“, also die für die ersten Themen in der Sonatenform, das „männliche Hauptthema“. Mit der Zeit werden aber solche befehlenden Frauen wie 'Ottavia' immer weniger.

Wenn im 18. oder 19. Jahrhundert eine starke Frau vorkommt, dann ergeht es ihr schlecht.

Sie wird verteufelt oder muß untergehen — es sei denn, sie handelt für Männer. Dann trotzt sie sogar Tyrannen. Beethovens 'Leonore' riskiert Leben, Haut und Haare — aber eben nur für den Mann. Für sich selbst machen die Frauen nichts.

Daß Frauen in gut und böse aufgeteilt werden, hängt mit ihrer veränderten Lebenswirklichkeit zusammen.

Ja. Zwischen 1750 und 1800 formiert sich unsere bürgerliche Musikkultur. Dazu gehört eine schärfere Charakterisierung der individuellen Personen, aber auch ihres Geschlechts. Dem Mann werden die öffentlichen Tätigkeiten zugewiesen, der Frau das Heim. Der Mann wird auf dem kapitalistischen Markt bezahlt für seine Arbeit, die Frau soll alles umsonst machen. Nach der neuen Ideologie gilt es als na

Eva Rieger (li.) hiere mit Patricia Jünger, einer feministischen Komponistin Foto: G.-H. Ortner

türliche Bestimmung, Hausfrau und Mutter zu sein.

Das Verbot des weiblichen Begehrens...

Eine Frau, die passiv und in sich gekehrt ist, kann ja nicht gleichzeitig begehrend sein, das hieße autonom handeln, sich selbst zum Subjekt machen. Beonders tückisch finde ich, daß die Guten nicht mal belohnt werden für ihre Beschränktheit, die werden ja auch umgebracht oder bringen sich selbst um. Die Frau verliert in jedem Fall...

Sie haben analysiert, mit welchen musikalischen Mitteln Männlichkeit und Weiblichkeit in der Oper ausgestattet werden.

Ich habe mir die Affektenlehre der Barockzeit angeschaut, wo Musik als Sprache gilt und bestimmte Empfindungen musikalisch umgesetzt werden. Mit bestimmten Taktarten, Tempi und Figuren ließen sich innere Vorgänge darstellen. Leid wird zum Beispiel durch chromatisch abwärtsgleitende Bass-Schritte dargestellt. Bosheit durch den Tritonus oder Dissonanzen. Die Affekte, das ist ein sehr hoch entwickelter Code. Davon bleiben einige übrig bis heute in die Werbemusik hinein: Wir verstehen heute noch, wie das gedacht ist. Moll ist beispielsweise immer eine Eintrübung eines Gefühls, Dur immer eine Aufhellung, das wird automatisch sogar von Kindern erkannt.

Wie ist das den Geschlechtern zugeordnet?

Weite Sprünge und punktierte Noten gelten als freudige, lustige, freche Affekte, kleinschrittige, dissonante Intervalle dagenen als traurige, schmeichelbnde Leidenschaften. Für die „affecti molesti“, die unlustbetonten, wie Demut, Scham, Verlorenheit, Furcht etc. verwandte man langsames Tempo, abwärtsgerichtete Melodieformen, Moll- Eintrübung, Seufzer-Vorhalte. Für die lustbetonten wie Liebe, Haß, Freude, Stolz, Mut, Begierde, Wille, Rache, Kampf stand schnelles Tempo, aufwärtsspringende Melodik, große Intervalle, Dur, Punktierungen. Und nun sind es die unlust-betonten Affekte, die musikalisch der Frau aufgehalst werden, die lustbetonten dem Mann. In der Barockoper waren die lust- und unlustbetonten Affekte unter Frauen und Männern noch gleich aufgeteilt. Eine amerikanische Untersuchung hat ergeben: Von den Moll-Arien aller Arien Mozarts werden 17 von Frauen gesungen und nur 7 von Männern!

Es gibt auch andere Frauen. Mozarts Blonde und Susanna dürfen Stärke zeigen.

Das sind Unterschicht-Frauen, die frech sein dürfen, aber nicht

2 Frauen

unter Transparent

für voll genommen werden, auch musikalisch. Sie singen syllabisch und weniger melismatisch; die ganze Schönheit einer Arie haben sie nicht, sie plappern so dahin. Außerdem ist Mozart gerade der historische Grenzfall; nach der opera seria kommt dann die deutsche Oper mit Weber, Lortzing, dann folgen mit Alban Berg im 20. Jahrhundert auch Versuche, die Frau mit ihrem Leid auch kritisch zu sehen. Aber im 19. Jahrhundert ist das noch stark polarisiert.

Beispielhaft die beiden Chöre in Webers „Freischütz“.

Ja! Die Brautjungfern im begrenzten Kämmerlein sticken und singen von den erhofften Ehemännern „schöner, grüner, Jungfernkranz“: ganz kleinschrittige Intervalle, abwärtsführende Motive am Ende jeder Phrase, Zeichen für Traurigkeit, dünn besetztes Orchester, gleichmäßiger Rhythmus. Die Männer sind draußen, lagern im Gras, trinken Wein und freuen sich auf die Jagd, dieses „Jo-ho- Trallala“ ist ja voller Lebensfreude, mit vollem Orchester, rhythmisch variiert, Melodie nach oben, mit Quartaufsprung, weitaus differenzierter.

Also man kann sagen: Was mit Macht zu tun hat und mit Repräsentation, mit großer Orchesterbesetzung, aufwärtsstrebend, festlich, groß, voll Lebensfreude, Aktivität — das ist immer männlich zugeschrieben. Es gibt aber auch Frauen, die musikalisch so ausgestattet werden.

Ja, das ist aber dann die böse Frau. Beispiel: Wagners Elsa, die „gute Frau“, hat langsame, kleinschrittige Musik, engen Raum, wenig Instrumente. Bei Ortrud gibt es große Sprünge, Tremolo, volles Orchester, die darf rumschreien, dramatisch, leidenschaftlich sein — aber sie ist eben dem Tode geweiht. Wagner hat in seinen Briefen gesagt: „Sie ist eine fürchterliche Frau.“ Er hat richtig Angst vor ihr. Also das konnten keine Modelle für Frauen sein. Das macht mich betürzt: daß die Opern keine Modelle für die Frauen geboren haben.

Puccini setzt sich für die Frauen ein, er sympathisiert mit 'Madame Butterfly'...

Ja, aber in der musikalischen Ausstattung wird die Beschränktheit deutlich. Sie wird mit Harfe und Holzbläsern chrakterisiert, und ihr Melos pendelt oft zwischen zwei Tönen, eher statisch wie das japanische „Sakura“.

„Entführung aus dem Serail“: Der Mann will sich opfern...

Ja, aber sie ist eingesperrt und bedroht, er kann handeln!

Bei Wagner ist Tannhäuser der Langeweiler, Venus ist leben

dig, bringt die Impulse...

Daß wir als Feministinnen diese Dinge so uminterpretieren, ist meine einzige Hoffnung, sonst könnten wir ja keine Opern mehr hören. Bei Tannhäuser ist die gute Welt der Minnesänger ausgestattet mit kirchenähnlichen Chorälen, während die Frau mit faszinierenden, aber dissonanten Klängen ohne Bass- Stütze beschrieben wird. Kirche und choralähnliche Motive gelten als gut, während die Dissonanzen als gefährlich gelten. Insofern kommt die Frau eben nicht besser weg. Aber wir können heute die Stärke dieser Venus sehen, ihre Selbständigkeit, auch wenn sie zum Schluß wieder in die Unterwelt verschwindet.

Bei Figaro kämpft die Gräfin um ihren Mann und siegt, er liegt auf Knien...

Ja — aber sie bekommt nur diese zwei sehr limitierten Arien, die sind zwar wunderschön aber sehr beschränkt, das Material ist ganz ähnlich, dazu klein, langsam; der Graf dagegen hat musikalisch alle Insignien von Macht und Autorität. Und sie siegt nicht, sie stellt nur ihre Situation wieder her — und das muß sie durch Kniffe mit einer Zofe. Das kann kein Modell sein. Musikalisch ist sie begrenzt.

Salome läßt den Mann enthaupten, der sie verschmäht — ziemliche Machtausübung.

Ja, aber sie wird dafür umgebracht. Und diese Oper ist entsprechend eine Orgie der Dissonanzen und der orientalischen Klänge, Salome wird im Grunde durch die exotische Musik aus der bürgerlichen Gesellschaft hinauskatapultiert von Strauß. Sie ist ein exotisches sexuelles Wesen, wie wir sie ja um die Jahrhunderwende oft haben.

Trotz eingeschränktem Material sind die Frauen-Arien oft wunderschön!

Erstens: Die barocke Belcanto- Oper betrachtete die Tenor- und Baßstimmen als zu hart und ungeschliffen und hielt nur die hohen Kastraten- und Frauenstimmen für geeignet, über Liebe zu singen. Im 19. Jahrhundert waren die Frauen so nicht nur mit den leid- und konfliktvollsten, sondern oft auch mit den zart- sinnlichsten und schönsten Arien ausgestattet. Und: Leiden adelt! Unser Herz öffnet sich für Leidende. Das sollte aber nicht mißverstanden werden als eine musikalische Aussage für die Frauen. Letztendlich ist es nicht schmeichelhaft, immer wieder die zu sein, die umgebracht wird!

Fragen: Susanne Paas

Zum Weiterlesen:

Eva Rieger: Frau, Musik und Männerherrschaft, Kassel 1988, Furore-Verlag.