Zwei Schritte vor und einen zurück

■ „Grüße vom Boss“ – Frank Goykes neuer Berlin-Krimi zwischen Punk, New Age und der etablierten Westlinken

Zum Krimi-Autor muß man sich nicht berufen fühlen. Chandler fühlte sich; Frank Goyke fühlt sich nicht. Die Revolutionierung des Genres – Kennzeichen aller literarischen Berufung – ist die Sache des 31jährigen nicht, dem das Pseudonym eines Neuen Deutschen Krimiautors in die Wiege gelegt war. Seinen Job macht Frank Goyke, weil der Chef des Wende- Verlags „edition monade – Leipzig Crime“ den technischen Angestellten Goyke dazu aufforderte: „Frank, schreib mir doch mal einen Krimi.“ Der Angesprochene nämlich hatte nicht nur einige Erfahrung mit dem Schreiben; als einstiger Stasi-Zuträger hat er zudem fundierte Erfahrungen mit der erzähltechnologischen Verfaßtheit von Wirklichkeit (nachzulesen in seinen Gesprächen mit Andreas Sinakowski in „Das Verhör“, BasisDruck, 1991).

Goyke also schrieb seinen Leipzig-Krimi „Der kleine Pariser“ – den Roman eines müden Frühprofis – mutlos wie sein Bullenheld. Aber es klappte: Mit der Story vom tumben Westkommissar Dietrich Kölling auf Ostwegen reiht sich Goyke halbwegs gekonnt und ohne größere literarische Ansprüche ein in die unendliche Reihe bundesrepublikanischer Polizistenkrimis.

Beide, der Kommissar und sein Schreiber, wurden nach diesem Erstling nun nach Berlin versetzt. Kölling zusammen mit seinem Leipziger Hilfssheriff Becker an die Spitze einer Mordkommission, Frank Goyke als Cheflektor in die Sommer 92 gegründete Dependance der edition monade „Berlin Crime“.

Angekommen in Berlin also, verdoppelt sich Frank Goyke. Der Krimi-Autor wird sein eigener Lektor – was seinem neuen Roman „Grüße vom Boss“ nicht guttut. Natürlich beherrscht Goyke inzwischen das Spiel mit dem Zeilengeld für 180 Seiten. Alle zwei Seiten gibt's den Schnitt – mit einem starken Spruch und einer halben Erkenntnis: Das ist „Tatort“-reif. Der enge Spielraum hat eine Mitte, den Prenzlauer Berg, und sein Umfeld, Berlin. Die Story ist aktuell, spielt in Nachwende-Milieus: Ein kleiner Punk aus Glauchau kommt im Moloch Berlin unter die Räder und liegt bald als Leiche zwischen Mülltonnen am Prenzlauer Berg. Ignorant und selbstgefällig tapsen Kölling und Becker, begleitet von einer nicht minder blöden Berliner Kollegin, durch besetzte Häuser und leerstehende russische Kasernen – zwei Schritte vor und einen zurück und abwechselnd von dem Wunsch beseelt, den ganzen Haufen, der ihnen da über den Weg läuft, an die Wand zu stellen. Jedes Quentchen Seele mehr treiben sie mittels Ohrfeigen aus; wo der Mordkommission in Berlins Topographie die Zeichensetzung Endzweck ist, ist Animismus grundsätzlich verdächtig: „Der Schmutz, in dem sie wühlte, war ein Gegenstand ihrer Arbeit, mehr nicht.“

Jahrhunderte entfernt von alten hehren Detektividealen – hießen sie Logik oder Gerechtigkeit –, trinkt der Polizeiapparat in den „Grüßen vom Boss“ seinen selbstgebrauten Kaffee und betätigt so lange gelangweilt den Mechanismus der Indizienselektion, bis der Tote einen Namen gefunden hat und die Großstadtspuren sich ordnen auf der Achse, die der Fall ist. So weit, so sehr ein richtiger deutscher Krimi.

Und doch oder gerade deswegen läßt einen Goykes Krimi kalt. Anders als Leo P. Ard und Michael Illner, die letztes Jahr mit ihrem deutsch-deutschen Team Gabler/Horstmann nicht nur zwei glaubwürdige Kripo-Typen, sondern nebenbei auch eine gelungene soziologische Studie der kippenden Milieus von Hellersdorf bis Steglitz lieferten (und nebenbei noch eine spannende, weil mehrfach überdeterminierte Erzählung), anders also als das „Gemischte Doppel“ sind die „Grüße vom Boss“ deshalb beschränkt, weil die zivile Gesellschaft, auf die der Staatsapparat stößt, statt sich archetypisch herauszuarbeiten, nur zur Schablone gerinnt.

Symptomatisch dafür sind die kleinen Fehler, die Goyke unterlaufen. Undenkbar ist beispielsweise, daß ein Westkommissar statt vom Verfassungsschutz regelmäßig vom „Staatsschutz“ spricht: Mag das sprachlich auch angemessener als der bundesrepublikanische Euphemismus sein – einem biederen Westbullen ist so viel Unzivilisiertheit kaum zuzutrauen. Und daß Simon von seinen Freunden Ziwi gerufen wird, obwohl keiner weiß, daß er im Nebenjob als Spitzel agiert, erhöht nicht gerade den Grad fiktionaler Wahrscheinlichkeit.

Aber vielleicht nervt es auch nur, daß die gesamte Berliner Gesellschaft vom „schwarzroten“ Hausbesetzer über das New Age bis zur etablierten Westlinken (in Gestalt von S.T.E.R.N.) in Goykes Krimi sich kaum voneinander unterscheidet, ausnahmslos nichts kann, als Parolen zu klopfen. Man wartet auf die liebevoll feste Hand und das falsche Stichwort, um sich mit dem Feind, dem Staat, beim Bier zu verbrüdern. Das wäre dann, zugegeben, mein Problem. Fritz von Klinggreff

Frank Goyke: „Grüße vom Boss“, edition monade, 1992, Berlincrimi 2, 14, 80 DM

Am 2. Februar liest Frank Goyke aus dem besprochenen Buch: 20 Uhr in der Krimibuchhandlung „Tatort“, Motzstraße 65, 1/30.