Gespenster am Horizont

■ Dieckmann und Eckart: Zwei Ostdeutsche über Amerika

Für den Fall, daß es wider Erwarten einen DDR-Bürger nach Amerika verschlüge, gab es Verhaltensnormen: Kaum angekommen, gebe man sich informiert und klassenpolitisch auf dem laufenden. Herr Schmidt would like to see Harlem and the Afroamericans. So stand es im Lehrbuch der englischen Sprache.

„Wer in den USA den Unabhängigkeitstag erlebt, begreift mit einemmal, wie unsere alten Herren sich das eigentlich gedacht hatten. Die Leute kleiden sich in Stars and Stripes, tun Glitter an, schwenken Blau-weiß-rote Luftballons und freuen sich zu sein, was sie sind.“ Mit den „alten Herren“ ist hier die auf Jubel erpichte DDR-Politprominenz gemeint, und der so erleuchtet dahinschreibt, war nach dem Untergang des manifesten Staates erster ostdeutscher Stipendiat des amerikanischen „World Press Institute“ (WPI). Christoph Dieckmann, einst Vikar, später Medienreferent in Ostberlin und Publizist, zog 1990 fünf Monate lang durch Amerika und schrieb Reportagen für eine Ostberliner Zeitung. Die versah er mit einem streckenweise schrecklich privaten Nachwort („Einmal im Leben. Ein Nachklang“) und veröffentlichte sie jüngst beim Berliner Christoph Links Verlag.

Der Theologe hat trefflich gemixt; aus der Chronologie der Reise baut er ein Gerüst, an das er in mundgerechten Stücken Histörchen und Historie, Beobachtung und Reflexion hängt, mit verhaltenem Spott zwischen den Zeilen. Er plaudert, ohne sich irgendwo allzulange aufzuhalten, behält skeptischen Abstand zum Gegenstand, im Ton durchgängig eine Spur lakonisch, und gibt sich angestrengt: „Lieber Leser!“ ist sein Lieblingsseufzer, mit dem er kokettiert wie mit den kindlichen Vorstellungen vom großen Land: „Ich wollte Marilyn Monroe in einem goldenen Auto vorbeifahren sehen, und sie sollte mir winken.“ Sie tat es nicht – und Hollywood ist eher häßlich. Enttäuscht wendet der Autor sich ab und beginnt trotzig, aus sicherer Entfernung am Mythos zu kratzen: Die Hofmaler der Traumfabrik produzieren Fürchterliches; Filmbusineß, Fernsehen und Werbeclips durchschaut Dieckmann sofort. Am Hollywood Boulevard fällt ihm ein Obdachloser ins Auge: Es braucht kein Harlem, um im Sinne des Englischbuchs kritisch tätig zu werden. Das gesuchte Elend gibt es auch L.A., und wenn Dieckmann daraus schon nicht mehr die Schlußfolgerung ziehen kann, daß die DDR die beste aller Welten sei, so ist es doch immerhin ein Trost: Amerika ist zumindest nicht wesentlich besser.

Trotz allem – Las Vegas erscheint rosarot. Die Stadt der Nutten und Spieler lebt schließlich davon, daß an ihrem Mythos alle teilhaben können, wenn sie nur wollen. Dieckmann bekommt eine Handvoll Kleingeld aus dem Spielautomaten und – nein, keine Nutte, sondern eine Prinzessin, mit der er durch die Straßen schweben kann. Schon liegt ihm Las Vegas „zu Füßen wie ein kleiner, flimmernder Wurm“, so einfach ist das. Amerika ist beizukommen: Einfältig, mutig und tragisch sei es, resümiert Dieckmann beruhigt – einfältig und tragisch war auch die erste Generation der DDR. Und was den Mut der Amerikaner betrifft, auch dafür finden sich Parallelen: „Alles Denken wird flugs zur Idee und zurückgepflanzt in die tätige Welt, aus der es kam. (...) Ist das nicht auch totalitär?“

Während Dieckmann mitten in Amerika nach vertrauten Chiffren sucht, will Gabriele Eckart, ostdeutsche Schriftstellerin, am liebsten vergessen, woher sie gekommen ist. Vom „IM Hölderlin“ zum Beobachtungsobjekt der Stasi geworden, kehrte sie 1987 von einem Besuch der Frankfurter Buchmesse nicht in die DDR zurück.

Den Westen des Landes mochte sie sowenig wie den Osten: „Vom Terrorismus des Staates war ich in jenen des Marktes gekommen“, schreibt sie über Westdeutschland. Kaum drei Monate dort, zog sie nach Texas. In ihrem neusten Buch, „Der gute fremde Blick. Eine (Ost)deutsche entdeckt Amerika“, läßt sie in einer schwachen Um-schreibung des Biermann-Motivs die beiden Teile Deutschlands als „zwei Backen (...) um dasselbe Arschloch“ erscheinen: als hätte sie geahnt, daß sie sich kurz nach dem Erscheinen des Buches herbe Vorwürfe von Sarah Kirsch gefallen lassen müßte, über die sie als inoffizielle Mitarbeiterin der Staatssicherheit berichtet hatte. Kein Wunder, daß es ihr in Amerika besser gefällt: Die Studenten, die sie hier unterrichtet, wissen von der DDR gerade, daß sie in Europa liegt. Unangenehme Fragen sind da nicht zu erwarten.

Eckart selbst zieht zur Erklärung ihres Amerika-Faibles das Stereotyp der „historischen Wurzellosigkeit“ Amerikas zu Rate. Eine Nation auf der Suche nach „Identität, nach einer Selbstdefinition“. Das sei sie selbst auch, gesteht sie und verteidigt schon deshalb die Wahlheimat mit Inbrunst gegen hochnäsige Westdeutsche. Die „Diktatur des Geldes“, die sie an Westdeutschland bemängelt, scheint es in Eckarts Amerika nicht zu geben. Deutschland ist das Gespenst am Horizont, vor dem Amerika golden leuchtet. Der Text klingt harmoniesüchtig, Eckart will sich einrichten; „bis daß der Tod uns, mich und Amerika, scheidet“, schreibt sie. Mit naiver Ernsthaftigkeit sammelt sie Beispiele, warum Amerika wirklich liebenswert sei. Dabei muß sie doch gar nicht rechtfertigen, warum sie den DDR-Medien, wenn sie Amerika verunglimpften, „instinktiv jedes Wort im Munde umgedreht“ hat. Nur ist, was Eckart zu sagen hat, kaum mehr als Schwarzweißmalerei.

Hinter ihren eigenen Text setzt Eckart wie zur Entschuldigung zwölf Porträts, zu Monologen zusammengestrichene Interviews, aus denen sich immerhin entnehmen läßt, daß es in den Vereinigten Staaten von Amerika doch ein paar Probleme gibt. Eingearbeitet sind ein paar Brocken amerikanischer Geschichte, in der Art von Zusammenfassungen am Ende eines Lehrbuchkapitels. Was fehlt, ist ein erleuchtendes Wort zur Nation. Friederike Freier

Christoph Dieckmann: „Oh! Great! Wonderful! Anfänger in Amerika“, Christoph Links Verlag, 22 Mark

Gabriele Eckart: „Der gute fremde Blick. Eine (Ost)deutsche entdeckt Amerika“, Kiepenheuer & Witsch, 18.80 Mark