„Wenn das Öl kommt, bin ich ruiniert“

Die Lachsfarmer von Scalloway an der Westküste der Shetlandinsel Mainland müssen tatenlos zusehen, wie ihnen das Öl aus der leckgeschlagenen „Braer“ die Lebensgrundlage entzieht  ■ Von den Shetlands Ralf Sotscheck

„Die Politiker reden dauernd davon, daß wir Glück im Unglück haben, weil das norwegische Leichtöl vor der Shetland-Küste angeblich von der Natur selbst abgebaut wird“, sagt Michael Flynn. „Das sollen sie mal den Vögeln erzählen, die ständig angespült werden.“ Der etwa 30jährige Flynn arbeitet ehrenamtlich für die „Schottische Gesellschaft zur Verhinderung von Grausamkeiten an Vögeln“ (SSPCB).

Seitdem der unter liberianischer Flagge fahrende US-Tanker „Braer“ am vergangenen Dienstag mit 84.500 Tonnen Rohöl an Bord wegen Maschinenschadens an der Südspitze der Shetland-Hauptinsel Mainland auf einen Felsen aufgelaufen und leckgeschlagen ist, versucht die SSPCB, von dem Vogelparadies auf den Shetlands zu retten, was kaum noch zu retten ist. Am Samstag hat sich herausgestellt, daß das Ausmaß der Ölpest weitaus größer ist, als bisher von den Politikern zugegeben. Ein Hubschrauber des britischen Vogelschutzbundes ist über unzugänglichen Buchten geflogen und hat Hunderte von verölten Vögeln und Robben gesichtet. Mitarbeiter Eric Meek sagt, daß zwar die meisten noch am Leben sind, man ihnen aber durch den Sturm nicht zu Hilfe kommen kann.

Wieviel Öl noch in dem Tanker ist, weiß niemand, doch die befürchtete Katastrophe ist nicht mehr zu verhindern. Bereits vor drei Jahren hat die SSPCB gemeinsam mit Umweltschutzorganisationen, der Bezirksverwaltung und der Ölindustrie einen Koordinationsausschuß gegründet, um für den Ernstfall gewappnet zu sein. „Wir müssen praktisch denken und mit der Ölindustrie zusammenarbeiten“, sagt Flynn. „Es gibt sie nun mal, und ich sehe nicht ein, warum wir von ihr kein Geld für unsere Arbeit nehmen sollen. Das heißt ja nicht, daß wir gutheißen, was sie tut.“

Die Ölfirmen, die bei Sullom Voe im Norden Mainlands das größte Ölterminal Europas gebaut haben, sind an guten Beziehungen zur Bevölkerung interessiert. So helfen sie mit ihren technischen Geräten, Fahrzeugen und Hubschraubern auch mal, wenn sich ein Schaf auf den Klippen verirrt hat. „Es nützt ihrem Image“, sagt Flynn. „Und gerade jetzt brauchen wir jede Hilfe, die wir bekommen können. Es geht ja nicht nur um die Vögel. Wir kümmern uns um alle Tiere, die in Not sind. Das erwartet die Bevölkerung von uns. Wir haben inzwischen einen Hilferuf von den Lachsfarmern weiter nördlich erhalten. Ob wir ihnen helfen können, weiß ich nicht. Aber wir müssen es wenigstens versuchen.“

Nicht unbedingt lukrativ, den Lachs vor dem Öl zu retten

John Pottinger ist Lachsfarmer in Scalloway an der Westküste von Mainland. Der kleine Fischerort liegt 40 Kilometer von Garths Ness entfernt, wo die „Braer“ auf den Felsen aufgelaufen ist. Der 42jährige hat ein weiches, rotes Gesicht und trägt eine imprägnierte Latzhose, eine gefütterte blaue Jacke und gelbe Gummistiefel. Er hat seit dem Tankerunglück nicht mehr geschlafen, sondern verfolgt ständig die Berichte im Radio über die Ausbreitung des Rohöls. „Es ist schon fünf Kilometer vor Scalloway“, sagt er. „Das Schlimme daran ist, daß man nichts tun kann, sondern hilflos zuschauen muß. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis das Öl unsere Bucht erreicht.“

Wir sitzen an einem runden Resopaltisch im Fisherman's Arms, einer kleinen Hafenkneipe in Scalloway. Die Bar ist mit einer bronzenen Schiffsglocke, einem Kompaß und anderen Seefahrtsutensilien dekoriert. An den Wänden hängen etwa 20 alte Zeichnungen von Schiffen, daneben eine moderne CD-Musikbox. In der Mitte des Raumes steht ein ramponierter Billardtisch, der von einer mit Draht befestigten Lampe beleuchtet wird. Auf den Barhockern sitzen acht Fischer, die wegen des Sturms heute nicht ausfahren können und schon am Nachmittag reichlich betrunken sind.

Auch Pottinger wollte eigentlich nach seinen Lachskäfigen sehen, um zu kontrollieren, ob das Unwetter weitere Schäden angerichtet hat. Am Vortag sind bereits zwei Käfige mit je 14.000 Lachsen vom Sturm mit Windstärke 12 zerfetzt worden. „Darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an“, sagt er. „Ich bin ohnehin ruiniert, wenn das Öl kommt.“ Pottinger hat vor fünf Jahren mit der Lachszucht begonnen. „Im vergangenen Jahr hatten wir zum ersten Mal eine ausgeglichene Bilanz“, erzählt er. „Die Kosten für die Käfige und das Boot sind sehr hoch. Außerdem muß ich meine Leute bezahlen.“ Inzwischen besitzt Pottinger 170.000 Lachse. Die Fische wiegen zur Zeit höchstens ein Kilo. „Wenn die Lachse im August ihr volles Gewicht erreicht haben, bekommen wir zwölf Pfund pro Stück“, sagt er. „Mit ihrem jetzigen Gewicht sind sie aber nur 1,50 wert.“ Die Versicherung zahlt dagegen 3,50 Pfund pro Lachs. „So pervers das ist: Wir könnten es uns finanziell gar nicht leisten, die Lachse vor dem Öl zu retten und sie schnell zu verkaufen, selbst wenn das ginge“, sagt Pottinger. „Aber in der Zeit, die uns bleibt, wäre das ohnehin nicht zu schaffen.“

Auf Mainland gibt es sechzig Lachsfarmen. Zwölf davon liegen bei Scalloway. Sie sind als erste vom Öl betroffen. „Normalerweise haben wir in dieser Jahreszeit Südwestwinde“, sagt Pottinger. „Seit einer Woche herrscht jedoch Sturm aus Süden und Südosten. Und der treibt das Öl die Westküste hinauf. Ich bin ruiniert.“ Da die Lachszucht ein risikoreiches Geschäft ist, mußte er eine persönliche Haftung in Höhe von 25.000 Pfund akzeptieren, um den Bankkredit zu erhalten. „Von dem Verlust, der mir jetzt droht, kann ich mich nicht erholen“, fürchtet er. „Ich müßte praktisch von vorne anfangen, zumal die Versicherungen keine Käfige versichern, die älter als fünf Jahre sind. Doch die Banken werden mir den Hahn zudrehen.“

Die Schuldfrage ist Gegenstand einer Untersuchung

Verschiedene Supermärkte haben Fisch von den Shetlands bereits am Donnerstag aus den Regalen genommen. „Da werden alle über einen Kamm geschoren“, sagt Pottinger. „Dabei ist bisher doch erst ein Teil der Inseln betroffen. Es ist eine Katastrophe, nicht nur für mich. Shetland lebt vom Meer.“ Die Besatzung der „Braer“ macht er dennoch nicht für das Unglück verantwortlich: „Sie haben den kürzesten Weg gewählt, das kann man ihnen nicht vorwerfen. Doch die britische Regierung hätte die schmale Straße südlich von Mainland für Tanker sperren müssen. Das konnte sie jedoch nicht, weil sie nicht die entsprechende UN- Resolution unterzeichnet hat, die das erlauben würde — aus Angst, daß andere Länder dann bestimmte Strecken für britische Tanker sperren würden.“

Die überwiegend philippinische Besatzung der „Braer“ hat sich vor einem Jahr bei der Internationalen Transportarbeiter-Gewerkschaft über schlechte Arbeitsbedingungen, niedrige Löhne und zu hohe Arbeitsbelastung beschwert. Der stellvertretende Generalsekretär der Gewerkschaft, Tony McGregor, sagte am Donnerstag: „Wir würden gerne wissen, wie viele Mitglieder der Besatzung zur Zeit des Unglücks Dienst hatten.“ Die Mannschaft des nordirischen Fischerboots Stephens behauptet, sie habe bereits am Montag kurz vor Mitternacht einen Tanker in der Nähe der Stelle gesehen, an der die „Braer“ angeblich erst mehr als fünf Stunden später mit Maschinenschaden liegenblieb. Außer der „Braer“ war in dieser Nacht jedoch kein anderer Tanker in der Gegend unterwegs. Alexandros Gillis, der griechische Tankerkapitän, beschuldigt dagegen die Küstenwache, auf seinen Hilferuf viel zu spät reagiert zu haben. Die Schuldfrage ist jetzt Gegenstand einer Untersuchung, die auf den Shetlands durchgeführt werden soll.

„Eine Schadensersatzzahlung nützt uns nichts“, sagt Pottinger. „Uns ist über Nacht die Lebensgrundlage entzogen worden, und das kann uns niemand bezahlen.“ Er glaubt nicht, daß schwimmende Barrieren die nahende Katastrophe verhindern können. „Wir werden dennoch versuchen, sie morgen auszulegen, weil die Versicherung das verlangt. Warum fährst du nicht mit?“ Er breitet eine detaillierte Karte auf dem Billardtisch aus und zeichnet eine Stelle fast an der Spitze der Whiteness- Halbinsel ein, an der sein Boot liegt.

Am nächsten Morgen hat sich der Sturm noch immer nicht gelegt. Die Bergungsmannschaften sind nach wie vor zum Nichtstun verurteilt. Pottinger und seine vier Mitarbeiter sitzen in einem kleinen Wohnwagen am Ufer der Whiteness-Bucht und kochen Kaffee. Neben dem Wohnwagen am Fuß der Klippen steht ein Geräteschuppen, hinter dem Dutzende von blauen Plastikfässern mit Fischfutter gestapelt sind.

„Norwegischer Lachs wird jetzt teurer werden“

Nach einer halben Stunde entschließen sich die Männer, zu den Lachskäfigen in der Bucht zu fahren. Man kann das Öl bereits riechen, es soll schon kurz vor der Bucht angekommen sein. Die acht Käfige, die etwa 150 Meter tiefer in der Bucht liegen, sind noch in Ordnung. Sie sind jeweils etwa zehn mal zehn Meter groß und durch schmale Laufstege aus Metall miteinander verbunden. Über die Käfige sind Netze gespannt, die verhindern sollen, daß die Lachse in die Freiheit springen. Pottinger inspiziert die Lage kurz, wendet dann das Boot und steuert am Landungssteg vorbei in Richtung Meer, wo weitere zwölf Käfige verankert sind.

Der Sturm fegt das Wasser über die Reling, das kleine Boot schaukelt so stark in den Wellen, daß man sich mit beiden Händen festklammern muß. Schon von weitem sieht man am Ufer die Überreste zweier Käfige, die übrigen zehn sind vom Wind hundert Meter weit in die Mitte der Bucht getrieben worden. „Da hängen zwei Anker dran, die jeweils eine halbe Tonne wiegen“, sagt Pottinger. Als die Sonne für einen kurzen Augenblick hervorkommt, glitzert das Wasser in den Farben eines Regenbogens: Das Öl ist in der Bucht angekommen. Noch ist es lediglich ein dünner Film, der auf dem Wasser schwimmt. Lord Caithness, der britische Staatssekretär für Schiffahrt, hatte das Problem am Vortag noch heruntergespielt: „Das Öl schwimmt oben, und die Fische schwimmen unten“, hatte er gesagt. „Da kann eigentlich nicht viel passieren.“ Pottinger hebt resigniert die Schultern: „Und das sind die Leute, die dieses Land regieren.“

An der anderen Seite der Käfige hat inzwischen ein weiteres Boot angelegt. Die Besatzung des Skimmer Dim will dabei helfen, neue Anker zu befestigen. „Wir wissen nicht, wie die Käfige unten aussehen“, sagt Pottinger. „Bei dem Wetter kann man keinen Taucher da runterschicken.“ Nachdem er mit seinen Leuten eine halbe Stunde lang die Schäden notdürftig repariert hat, bricht er die Aktion ab. Der Sturm hat weiter zugenommen, die Laufstege schwanken bedrohlich. „Es hat keinen Sinn, die Barrieren anzubringen“, sagt er. „Der Wind würde das Öl darüber hinwegdrücken.“

Auf der kurzen Rückfahrt zum Ufer steht Pottinger schweigend am Steuerrad. Als wir anlegen, sagt er niedergeschlagen: „Norwegischer Lachs wird jetzt teurer werden. Irgend jemand profitiert immer von einer Katastrophe. Auf Shetland werden sich dagegen sehr viele Menschen auf Sozialhilfe einstellen müssen.“