■ Kommentar
: Klassenkampf neuer Art

Verteilungskämpfe einer Gesellschaft auf demokratische Weise zu regulieren, so lernt die Jugend im Staatsbürger-Unterricht, ist hohe Aufgabe der Parteien. Barmherzig wird dabei verschwiegen, daß die von der einen Klientel herausgeschlagenen Vorteile oft genug zum Nachteil anderer Bevölkerungsgruppen geraten. Zur Korrektur dieser trockenen Materie, die in DDR-Zeiten wohl ganz prosaisch Klassenanalyse genannt wurde, bietet der Senat deswegen praktischen Anschauungsunterricht in böser Klientel-Politik an. Wie man mit der materiell minderbemittelten Bevölkerung Schlitten fährt, dürfen die Kids mit den Ende Januar anstehenden Winterferien erfahren.

Wohlhabende können nun endlich legal und ohne geflunkerte Krankenbescheinigung mit der Familie in die Skiferien reisen. Die ärmere Mehrheit darf zum Abschied winken. Für sie gibt es kein Alpenpanorama; für sie türmen sich nur Problemgipfel auf. Gerade für berufstätige Eltern ist die Situation nahezu unlösbar: Wohin mit den Kindern in dieser Zeit? Da fehlt es an Geld, den Kindern eine Urlaubsreise zu spendieren, und an eigenen Urlaubstagen – schließlich kommen auch noch die Oster- und Sommerferien. Die Nerverei in vielen Familien ist also vorgezeichnet.

Das von der Senatskoalition schlitzohrig vorgebrachte Argument in Richtung der Ostberliner, mit den Winterferien werde eine bewährte Einrichtung aus DDR-Zeiten übernommen, ist deswegen besonders zynisch. Damit wollte man die Westberliner Kritiker ruhigstellen und den Ossis billigen Honig ums Maul schmieren. Eines verschwieg der Senat freilich dabei: Zu DDR-Zeiten gab es die sozialen Angebote und Einrichtungen, die solche Winterferien erst sinnvoll machen würden. Der Senat hingegen stellt keine zusätzlichen Mittel für Ferienangebote zur Verfügung und läßt mit dem Problem auch die Bezirke allein. Wenn Ende Januar die Ferien beginnen, hat der Senat mit seinem Wintergeschenk an die Einkommensstarken deshalb vor allem eines erreicht: Das Wort „Klassenkampf“ hat ganz neue Bedeutungsinhalte erfahren. Gerd Nowakowski