Tadschikischer Bürgerkrieg erreicht Kirgisien

■ Regierung will Moslemführer wegen „Machtergreifung“ verurteilen

Berlin (taz/dpa) – Der tadschikische Bürgerkrieg droht nun auch auf die Nachbarrepublik Kirgisien überzugreifen. Nach Berichten des kirgisischen Rundfunks haben bewaffnete moslemische Gruppen aus Tadschikistan am Montag die Grenze überschritten, drei Menschen erschossen sowie 18 Geiseln genommen. Die Tadschiken hätten dazu aufgerufen, „unter die Flagge des Islam zu treten“, und auf einem Verwaltungsgebäude die grüne Flagge des Islam gehißt.

Zur Jagd auf die antikommunistische, muslimische Opposition des Landes hatte dagegen bereits am Wochenende der tadschikische Staatsanwalt Machmadnazar Salichow geblasen. Gesucht werden drei Männer, die für den blutigen Machtkampf im Lande verantwortlich sein sollen: der Feind Nr. 1 der Kommunisten ist das religiöse Oberhaupt der Tadschiken, Ghazi Akbar Turadschanzade.

Dabei hatte der 44jährige weltoffene und hochgebildete Theologe aus der nördlichen Provinz Gharm lange als Verbündeter der Kommunisten gegolten. Als Mitglied des Obersten Sowjet kooperierte er mit der kommunistischen Mehrheit des Parlaments. Doch mit der Stärkung der nationalistischen und religiösen Kräfte schwenkte Ghazi auf die Seite der antikommunistischen Bewegung. „Die Mullahs essen ihr Brot nach dem Tagespreis“, spotteten die kommunistischen Blätter über den Theologen. Bald galt Turadschanzade als moralische Stütze der Opposition und spielte beim Sturz des kommunistischen Staatschefs Nabijew im Sommer 92 eine entscheidende Rolle.

Die Nummer 2 auf der Liste des Staatsanwalts ist Schadman Jussuf, Chef der Hezb-e Democrat. Die „Demokratische Partei“, 1991 als politische Organisation des zuvor gegründeten nationalistischen Sammelbeckens Rastachiz („Wiedergeburt“) entstanden, ist ein Sammelsurium von Nationalisten, Lokalpatrioten, westlich orientierter Intelligentsia und reuigen Kommunisten. In der Universität von Duschanbe verfügt sie über eine beachtliche Anhängerschaft. Obwohl säkularistisch, arbeitete die Hezb-e Democrat eng mit der islamischen Opposition zusammen. Hochschullehrer Jussuf: „Der Islam ist ein integraler Bestandteil unserer nationalen Kultur.“ Der dritte Oppositionsführer, dessen die tadschikische Staatsanwaltschaft habhaft werden will, ist Daulat Osman, politischer Kopf der „Hezb-e Nihzat-e Islami“ („Partei der islamischen Bewegung“). Sie entstand 1990 in der russischen Stadt Astrachan am Kaspischen Meer als Organisation der mittelasiatischen Islamisten. Während die Islamische Bewegung, die übrigens keinen islamischen Staat anstrebt, in allen anderen Muslim-Republiken der einstigen Sowjetunion, besonders in Usbekistan, wo sie über 15.000 Aktivisten verfügt, verboten und verfolgt wurde, gelang es ihrer tadschikischen Sektion, die Legalität durch den Druck der Straße zu erkämpfen. Als sich Staatschef Nabijew im Mai dieses Jahres gezwungen sah, die Macht mit der Opposition zu teilen, wurde Osman Stellvertreter der Premierministers.

Ob die Führer der Opposition jedoch tatsächlich verurteilt werden, ist zweifelhaft. Die Gejagten sind längst über alle Berge, in Badachschan vermutlich, wie in Duschanbe gemunkelt wird. Diese südöstliche Provinz ist vor dem kommunistischen Zugriff bisher verschont geblieben. In Duschanbe wurde der Ausnahmezustand indessen verlängert, Regierungstruppen griffen die Städte Rogun und Obigarm, wo sich bewaffnete Einheiten der Opposition aufhalten, an. So sicher sind sich die Kommunisten ihres Sieges anscheinend nicht. Mehr als einmal hatte sich schließlich in den letzten zwei Jahren das Machtkarussell gedreht. Ahmed Taheri