: Natur zum Ausschlachten freigegeben
■ Nordländer wollen gemeinsam Barentsregion entwickeln
Kirkenes (taz) – Ein „starker Eckpfeiler Europas“ – mit starken Worten sparten die AußenministerInnen Schwedens, Norwegens, Finnlands und Rußlands nicht, als sie am Sonntag die „Barentsregion“ beschworen: einen Vertrag über Zusammenarbeit in Wirtschaft, Politik und Umwelt, der das Ende des Kalten Krieges im hohen Norden besiegeln soll.
Streitfälle wurden ausgeklammert: die russische Militärpräsenz, die von Moskau gebrochenen Versprechen, für Umweltschutz und Sicherheit der Atomkraftwerke zu sorgen, die fortgesetzte Versenkung von Atommüll im Barentsmeer.
Später wolle man auch das „angehen“, beschwichtigte der Gastgeber, Norwegens Außenminister Thorvald Stoltenberg, DemonstrantInnen am Tagungsort Kirkenes. Im Saal schwärmte man lieber von „unfaßbaren Naturschätzen“, von Öl und Gas, der Nord-Ost- Passage, von Straßen und Eisenbahnlinien. Finnlands Außenminister Paavo Väyrynen erhofft einen Barents-Boom für sein Land, das in der tiefsten Wirtschaftskrise seit 50 Jahren steckt. Norwegen will sein Know-how in der Öl- und Gasförderung verkaufen und ein größeres Stück des Fischreichtums reservieren. Stockholm ist formal dabei, hat sich aber mehr auf das Baltikum konzentriert.
Nur weiß niemand, wie solche Projekte beidseits der ehemaligen Blockgrenze finanziert werden könnten. Der Vorsitzende des schwedischen Naturschutzverbands, Ulf von Sydow, warnt vor einer „Falle“, falls westliches Konw-how gegen den Raubbau an russischen Naturschätze eingetauscht werde. Westeuropa und die EG seien in dem Fall direkt mitverantworlich für „eine nicht wiedergutzumachende Verschärfung der Umweltsituation.“ UmweltschützerInnen fordern deshalb ein „Barnavtal“: ein Kinderabkommen. Denn ob in der Nordregion weitere Generationen leben können, ist so sicher nicht. Eine Million Tonnen Schwefeldioxid jagen die russischen Nickel- Schmelzwerke jährlich durch die Schornsteine. Im Barentsmeer rosten gesunkene Atom-U-Boote vor sich hin, die Karte der Atommüllkippen auf der Kola-Halbinsel wird noch immer als Militärgeheimnis behandelt. Das Uralt- AKW Poljarni-Zori (Typ Tschernobyl) soll weiterlaufen, ein Öl- Unglück würde in der empfindlichen arktischen Natur die „Exxon Valdez“-Katastrophe verblassen lassen. Russische und skandinavische UmweltschützerInnen sind verzweifelt. Von „Terror“ und „Sabotage“ wurde gesprochen, für die man „Afghanistan-Veteranen“ anheuern wolle, „die für Dollars alles machen“. Kaum einer hofft noch auf PolitikerInnen wie Alexander aus Nikkel, der seinem Außenminister Andrej Kosyrew in Kerkenes eine Protestresolution und Unterschriftenlisten überreichte: „In Moskau werden wir nicht mal vorgelassen.“ Reinhard Wolff
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