Die den Hals nicht vollkriegen Von Andrea Böhm

Es gibt noch Helden in Amerika. Stephen Winzenburg zum Beispiel. Während andere einmal im Jahr den „Iron Man Triathlon“ auf Haiwaii absolvieren oder im Marlboro-Jeep durch den Dschungel brettern, setzt sich Winzenburg 175 Stunden lang vor die Glotze – und sieht sich eine Woche lang nonstop die Predigten der TV-Evangelisten an. Das tut er nicht aus Frömmelei oder Masochismus, sondern im Dienste seiner Profession, der Kommunikationswissenschaften. Winzenburg mißt jedes Jahr mit der Stoppuhr, wieviel Sendezeit die telegenen Botschafter des Herrn für Spendenaufrufe verwenden.

Nun mag dem unbedarften deutschen Leser Winzenburgs Beschäftigung so exotisch erscheinen wie das Sammeln von Zierkürbissen. Falsch! Winzenburg untersucht einen der blühenden Wirtschaftszweige der USA – bestehend aus über 1.300 christlichen Radiostationen, 200 lokalen TV-Stationen, drei überregionalen TV-Gesellschaften, 6.000 Buchläden und über 80 Verlagshäusern allein im Besitz evangelikaler Organisationen. Letztere setzen jährlich Milliarden um mit Büchern über den Sittenverfall in den USA, über die richtige Kindererziehung oder allgemeinen Lebenstips für den aufrechten Christen.

Den sauber gescheitelten Herren mit Anzug und Krawatte zuzusehen, wie sie mit Hilfe einstudierter Ekstase und dem Fortschritt im bargeldlosen Zahlungsverkehr ihre Klingelbeutel füllen, hat nicht nur enormen Unterhaltungswert. Es sagt auch einiges über die Konjunktur in der Branche aus.

Der Oscar-Aspirant unter den TV-Evangelisten ist zweifellos Oral Roberts, bei dem der Name Programm ist: Er kriegt den Hals nicht voll und fällt bei der Bitte um Schecks schon mal vor laufender Kamera auf die Knie. 1987 verkündete er in einem dramatischen Auftritt, Gott könne ihn möglicherweise zu sich holen, sollte er nicht acht Millionen Dollar an Spenden einsammeln. Roberts verfehlte sein Planziel knapp, aber der Allmächtige hatte offenbar kein Interesse an dieser geschäftstüchtigen Seele, weshalb sie weiter mit dem Robertschen Körper vereint ist – beide bei bester Gesundheit und wie gewohnt profitorientiert. Denn wie Winzenburg nach 175 Stunden mit rot geränderten Augen feststellte, haben Roberts und seine Kollegen ihre Marketingstrategie gewinnbringend verändert. Mit flehender Stimme nach dem Scheckbuch und der Kreditkarte des Zuschauers zu greifen, stößt auf Mißtrauen, seit diverse Starprediger durch Steuer- und Sexskandale in Verruf gekommen sind. Heute will der Zuschauer für sein Geld etwas sehen. Ergo wird in Shows wie „Hour of Power“ wieder mehr gesungen, gebetet und gepredigt. Das Spirituelle nimmt inzwischen laut Winzenbergs Berechnungen 74 Prozent der Sendezeit ein. Vor vier Jahren waren es noch 65 Prozent. Damit neben dem Sendeanteil nicht auch der Kontostand nach unten rutscht, bieten die „Televangelisten“ nun harte Ware gegen Geld. Video- und Tonbandkassetten mit Predigten als Spendenprämie versetzen die Zuschauer am schnellsten in Geberlaune. Die Produktion der Prämien ist zwar mit Unkosten verbunden, aber auf diese Weise haben Oral Roberts' Anhänger wenigstens etwas in der Hand, wenn der liebe Gott seine Drohung doch noch wahrmacht.