„Der Fisch ist so gut wie immer“

Einen Monat nach dem Tankerunglück vor der galicischen Küste sind die sichtbaren Folgen meist beseitigt/ Zweckoptimismus in der Region  ■ Aus La Coruña Antje Bauer

Eine schwarze Ölschicht liegt fett auf dem Sandstrand von Perbes. Zerfaserte Tauenden, Plastikflaschen und Holzreste sind mit den schwarzen Wellen hier angekommen und ragen aus dem nach Benzin stinkenden Modder. Eine Schaufel schiebt sich langsam unter den schwarzen Schlick und kippt ihn in einen Eimer. Wenn es spritzt, machen vier Gestalten in orangenen Schutzanzügen einen kleinen Schritt zurück, ohne ihre Unterhaltung zu unterbrechen. Den vollen Eimer tragen je zwei über den ganzen Strand zu einem Container. „Seit drei Tagen sind wir hier zugange“, erklärt eine junge Frau. „Eigentlich sollten wir in zwei Tagen mit dem Saubermachen des Strandes fertig sein. Aber das schaffen wir natürlich nicht.“

Die Bucht des Villenorts Perbes, eine Autostunde von der galicischen Hafenstadt La Coruña entfernt, gehört zu den Stränden, an denen die Spuren des Tankerunglücks vor einem Monat noch am deutlichsten sind. Die Felsen in der Umgebung sind schwarz gefärbt, alles Gesträuch von einer klebrigen Ölschicht bedeckt. Doch Francisco Cousillas, Chef der Säuberungseinheiten, der von einem Hügel aus, ein Telefon in der Hand, die Arbeiten überwacht, gibt sich optimistisch. „Hier wird nichts übrigbleiben“, versichert er. „Die hohen Wellen der Winterstürme haben einen Großteil des Drecks schon abgewaschen. Jetzt erwarten wir, daß die hohe Flut zu Monatsende den Rest besorgt und die Felsen sauberspült. Was dann noch bleibt, machen wir mit der Hand. Bis es Sommer wird, sind auch die Pflanzen wieder nachgewachsen, und wer sich nicht gut auskennt, sieht gar nicht, daß hier etwas passiert ist.“

Seit Anfang Januar sind an 200 Kilometern galicischer Küste, die von der Ölpest des am 3. Dezember vor La Coruña havarierten Öltankers Aegean Sea überflutet wurden, Säuberungsmannschaften am Werk. Einen Großteil der Arbeit haben Wind und Wellen besorgt: Die Bucht von Canaval, deren Wellen kurz nach dem Unglück aus reinem Öl zu bestehen schienen, sieht heute wieder aus, als sei nie ein Wässerchen getrübt worden. Selbst die Felsen haben ihre tiefschwarze Färbung verloren und zu ihrem natürlichen Braun zurückgefunden. An den Nobelstränden Riazor und Orzán von La Coruña rechen die Mannschaften Strandgut zusammen. Schon seit 10 Tagen sind die Surfer hierher zurückgekehrt. „Man muß nur aufpassen, kein Wasser in den Mund zu bekommen. Das hinterläßt einen bitteren Geschmack“, erläutert der Teenie Miguel.

Aus dem verrosteten Rumpf des Unglücksfrachters, der noch immer vor der Küste liegt, führt ein dicker Schlauch bis zu einem Tankwagen auf dem Festland. Seit sich das Meer beruhigt hat, wird auf diesem Weg das Öl entladen, das noch immer in seinem Bauch ist. An Feiertagen stöckeln ältere Damen im Pelzmantel und junge Mädchen die Wiese hinunter, um den Riesen zu bestaunen. Babys werden im Kissen hergeschleppt, baskenbemützte Rentner kommentieren die Tagesereignisse. „Man müßte die Sicherheit dieser Frachter verstärken, damit so etwas nicht wieder passiert“, sagen sie. Nur wenige überlegen, den Raffineriehafen aus der Stadt herauszuverlegen. „Für Lösungen sind die da oben zuständig“, sagt ein alter Mann, „ich habe davon keine Ahnung.“ Doch „die da oben“ sind weit davon entfernt, Alarmstimmung zu erzeugen.

„20 Tonnen des geladenen Erdöls sind im Tanker verblieben. Eine unbekannte Menge ist verbrannt. Was ins Meer gelaufen ist, haben wir großteils mit Pumpen abgesaugt, ein Teil ist verdunstet, weil es sich Gott sei Dank um Leichtöl handelte, und den Rest kratzen wir gerade von Stränden und Felsen ab“, zählt Enrique López Veiga, galicischer Landesminister für Fischerei, auf. Um zusätzliche Umweltschäden zu vermeiden, ist hier auf den Gebrauch von chemischen Auflösern verzichtet worden – die hätten den Lebewesen endgültig den Garaus gemacht. Im Meer selber ist nach López Veigas Aufrechnung nichts verblieben, und so ist es für ihn nur logisch, daß sein Ministerium seit dem 1. Januar den Fischfang in der betroffenen Zone wieder erlaubt hat. „Aber nicht im Küstengebiet und nicht in den rias, den tiefen Buchten. Dort können noch Überreste sein“, schränkt López Veiga ein.

Sorgen macht sich der Landesminister weniger um die mittel- und langfristigen Folgen des Unglücks auf die regionale Fauna – da vertraut er ganz auf die Natur – als um das Image der galicischen Meeresfrüchte und Fische. Nicht nur ganz Spanien, auch das Ausland wird mit den Köstlichkeiten bedient, die hier aus dem Meer gezogen werden. Wenn sich in der Öffentlichkeit die Meinung festsetzte, diese seien ölvergiftet, bräche in der Küstenregion eine immense Wirtschaftskrise aus. „Man darf nicht vergessen“, so der Minister im Sinne seiner Mission, „daß nur 2 Prozent der galicischen Küste von der Ölpest betroffen wurden. 98 Prozent sind Gott sei Dank so intakt wie immer.“ Auch alle anderen Stellen wiegeln ab. Schon 10 Tage nach dem Unglück hatte der sozialistische Bürgermeister von La Coruña, Francisco Vazquez, die Bevölkerung aufgerufen, zum Alltag überzugehen. Vizepremierminister Narcis Serra überflog an Silvester das betroffene Gebiet und bekräftigte die Entschlossenheit der Regierung in Madrid, die Region nicht zum Katastrophengebiet zu erklären (was sich kostensparend auf die Zentralregierung auswirkt). Und Säuberungschef Francisco Cousillas versichert im Brustton der Überzeugung: „Der Fisch hier ist so gut wie eh und je.“

In Lorbé sieht man das anders. In dem Fischerdörfchen liegen Dutzende kleiner Boote übereinandergestapelt auf dem Trockenen. In der Bucht schaukelt der Rest der örtlichen Flotte. Auf der Mole werkeln Fischer ohne Hast an ihren trockenen Netzen. Seit dem 3. Dezember sind sie nicht mehr ausgefahren. Auch nicht, seit die Xunta, die galicische Landesregierung, den Fischfang wieder erlaubt hat. „Man muß bloß hinschauen, um zu sehen, daß das nicht geht“, sagt ein alter Fischer und deutet auf eine regenbogenfarbige schillernde Schicht auf der Wasseroberfläche. „So sieht es hier aus. Dabei war Lorbé von der Ölpest nicht wirklich betroffen, weil die Bucht windgeschützt liegt.“ Auch ein hauchdünner Ölfilm auf dem Wasser, versichert ein anderer Fischer, könne die Fische bereits verseuchen. „Neulich haben wir wieder einen Fisch von hier probiert. Ein Stückchen nur, dann haben wir ihn weggeschmissen – er stank nach Erdöl.“

Lorbé liegt zwischen der Stadt La Coruña, vor deren Küste der Öltanker sank, und El Ferrol, wohin Wind und Wellen den schwarzen Teppich getragen haben. In der ganzen Region haben sich die Fischervereinigungen geweigert, der Aufforderung der Xunta Folge zu leisten, ihre Netze erneut wieder auszuwerfen. Das Sammeln von Meeresfrüchten – Muscheln verschiedener Art, Krebse, Krabben, Langusten – ist ohnehin noch immer verboten. „Selbst wenn wir fischen würden – die Preise sind so gesunken, daß es sich nicht lohnt“, klagt ein Fischer in Lorbé. „Für den großen, teuren Tintenfisch bekamen wir vor dem Unglück 570 Peseten (ca. 8 DM) pro Kilo. Jetzt liegt er bei der Hälfte. Die Leute haben kein Vertrauen mehr in unsere Ware.“ 45.000 Peseten (knapp 650 DM) Pauschalentschädigung hat die Xunta den Fischern im vergangenen Monat ausgezahlt plus 3.000 Peseten pro ausgefallenen Fischfangtag in Erwartung der Entschädigungszahlungen der Versicherungsfirma Lloyd's. Die Abfindungen für die Schäden des letzten großen Ölpestunglücks vor 16 Jahren waren erst im vergangenen Dezember bei den Betroffenen eingetrudelt. Daß das Fischen so zeitig wieder erlaubt wurde, schieben die Fischer auf das Sparbedürfnis der Xunta. „Auf diese Weise brauchen sie uns keine Entschädigungen mehr zu zahlen“, lautet der Verdacht. Dennoch hoffen auch hier alle darauf, bald wieder zur Tagesordnung übergehen zu können. „Wir warten jetzt die Ergebnisse von Biologen aus Katalonien ab, und dann sehen wir weiter“, sagt ein Fischer.

„Bis es wieder so ist wie vorher, wird es aber noch ziemlich dauern.“ Aber auch „vorher“ war es schon nicht mehr so wie früher. „Ich habe die Ölpest miterlebt, als vor 16 Jahren der Urquiola hier in der Nähe auf Grund gelaufen ist“, fällt ein älterer Mann ein. „Damals waren die Felsen mit Entenmuscheln bedeckt. Seither wächst dort kaum noch was.“

Nicht weit von Lorbé liegt das „Zentrum für die Erholung wilder Tiere“. Hierher wurden die ölverklebten Vögel gebracht. Über hundert Möwen, Kormorane und andere Arten wurden hier gepflegt und gefüttert. Die letzten warten in einer Freiluftvoliere darauf, freigelassen zu werden. Daß nicht mehr Vögel aufgegriffen wurden, begründen die Verantwortlichen des Zentrums damit, daß es in der Region keine große Vogeldichte gebe. Die Erwartung, das Meer erhole sich rasch von den Schäden, wird hier nicht geteilt. „Das Öl setzt sich mit der Zeit auf dem Meeresgrund ab und zerstört dort die Mikroorganismen. Dadurch fehlt den größeren Lebewesen wie Muscheln und kleinen Fischen die Nahrung“, warnt Rogelio Fernández, Direktor des Zentrums. „Wenn die Nahrungsmittelkette unterbrochen wird, hat das fatale Folgen auf die gesamte Meeresfauna. Darüber hinaus wird die Artenvielfalt in Mitleidenschaft gezogen. Es dauert sehr lange, bis sich so ein biologisches Gleichgewicht wieder herstellt.“

Sichtbar sind diese langfristigen Folgen freilich zunächst nicht. Und so übt jeder auf seine Weise Zweckoptimismus. Im Raffineriehafen von La Coruña sitzen Angler auf der Mole. Das Schimmern auf dem Wasser stört sie nicht. „Das Öl schwimmt auf der Oberfläche. Ich aber fische im Tiefen“, erläutert ein Angler. „Bis zum Sommer sieht man hier an den Stränden nichts mehr von dem Dreck. Deshalb werden wohl die Touristen wiederkommen“, hofft ein Barbesitzer im Ferienort Santa Cristina.

Auf dem Meer, wenige hundert Meter vom Hafen entfernt, liegen die Paletten der Muschelfabriken von Lorbé. Nur an einer ist eine Gruppe Arbeiterinnen zugange. Sie haben junge Muscheln, die in Netzen im Wasser gewachsen sind, herausgezogen, füllen sie in größere Netze ab und lassen sie an Schnüren wieder hinunter ins Meer. „Unser Boß hat gesagt, wir sollen die Muscheln ansetzen“, sagt der Chef der Truppe. „Sie brauchen jetzt noch neun Monate, bis sie ausgewachsen sind. Kann sein, daß man sie dann wegschmeißen muß. Er wollte es ausprobieren.“ Die dunklen Schalen der Miesmuscheln sind ölbedeckt. „Innen sehen sie aus wie immer. Aber ich würde sie nicht essen“, kommentiert der Alte.

Der belebteste Ort in Lorbé ist die Kneipe am Hafen. An einem Tisch werden Karten gekloppt, an der Wand hängt der Entscheid der Fischervereinigung von Lorbé, bis auf weiteres nicht hinauszufahren, am Tresen drängen sich die Männer. Überall stehen Platten mit heißen, frisch gebratenen Sardinen. Die Fischer langen kräftig zu. Wo kommt der Fisch her? „Hier, greif zu! Schmeckt hervorragend!“ Ein alter Mann macht eine vage Geste in Richtung Meer. Erst als die tazlerin ein Stückchen angenommen hat, erfährt sie, daß es der erste Fisch aus der Gegend ist. Am selben Morgen gefangen. Man wolle mal sehen, ob er in Ordnung sei.

Die Sardine schmeckt völlig normal – kein bißchen nach Öl. Wäre da nicht dieses Magengrimmen, das kurz danach einsetzt und zwei Tage lang anhält.