■ Zum Niedergang der FDP
: Eine überflüssige Partei

Je mehr Asche, desto strahlender der Phönix. Darum glänzt Kinkel derzeit so. Genscher, Mischnik und Lambsdorff gehen. Die nächste Generation ist verbraucht, bevor sie die Führung übernehmen könnte. Nach Jürgen Möllemann steht nun auch Irmgard Schwaetzer unter Beschuß. Nachdem sie innerparteilich schon durch die Umstände der Ernennung des Außenministers angeschlagen war, hat sie nun auch öffentlich ihren Kredit vorerst verspielt. Gleichzeitig sinkt die FDP in Umfragen unter 5 Prozent. Was fast schon wieder zu verschmerzen ist, weil sie ab 94, wie es aussieht, im Bund ohnehin nicht mehr regieren wird.

Wer zum alleinigen Hoffnungsträger einer verzweifelten Partei wird, dessen Mängel und Schwächen treten früher oder später in den Vordergrund. Zu Klaus Kinkels Schwächen gehört beispielsweise das Redenhalten. Er war ein hervorragender Beamter. Aber muß er darum auch ein guter Parteipolitiker sein? Bisher weiß man nur eines: Wenn man ihn zum Jagen trägt, schießt er auch. Liberale Konturen in der Außenpolitik kann er bisher unter den veränderten Rahmenbedingungen nicht zeichnen. Was auch daran liegen mag, daß die Außenpolitik in der Vergangenheit weniger liberal als einfach genscheristisch war.

Doch selbst wenn Kinkels Kräfte ins Herkulische wachsen, kann er den Niedergang der FDP allein wohl kaum aufhalten. In der Geschichte der Bundesrepublik hatten die Freidemokraten immer zwei Funktionen: den Staat davon abzuhalten, zuviel Geld auszugeben, und die Bürgerrechte zu schützen. Bei beiden Aufgaben haben sie mehr und mehr an Substanz verloren. Schon seit der Wende von 1982 schwand die Bedeutung der liberalen Liberalen in der FDP unter der doppelten Belagerung durch die CSU und die eigenen Wirtschaftsliberalen. Doch erst seit die SPD den liberalen Rechtsstaat im Kampf gegen Asylsuchende, Rechtsextremisten, Mafiosi und Drogenkartelle aus den Augen verliert, können Hirsch, Baum und neuerdings Leutheusser-Schnarrenberger kaum noch etwas verhindern, geschweige denn gestalten.

Dennoch ist es nicht der Verlust an bürgerrechtlicher Liberalität allein, der die FDP überflüssig macht. Vor allem kann sie ihre allerheiligste Aufgabe nicht mehr erfüllen: Bangemann, Haussmann und Möllemann stehen für verminderte Qualität im Wirtschaftsministerium. Alle drei konnten weder die zunehmende Staatsverschuldung bremsen noch entscheidend Subventionen kürzen, noch die Staatsquote (Anteil des Staates am Bruttosozialprodukt) auch nur stabilisieren. Unfähig, sich gegen das Kartell der Staatsmonopolisten in SPD und CDU durchzusetzen, erreicht die FDP genau jetzt ihren Tiefpunkt, da staatliche Sparsamkeit wirklich unabdingbar ist.

Es mangelte ihr schon lange auch an fiskalischer Fantasie. Wenn Gesundheits- und Rentensystem unfinanzierbar zu werden drohen, fällt der FDP-Führung zumeist nur ihre alte Grundüberzeugung ein, daß, wer arm ist, auch faul sein wird und deshalb knapper gehalten werden muß. Psychologisch und politisch sind die unausweichlich gewordenen Kürzungen im Staatshaushalt nur sinnvoll und durchsetzbar, wenn Subventionen und obere Einkommen mitbetroffen sind. Daß die FDP das nicht will oder kann, hat Lambsdorff zum Jahresbeginn noch einmal anhand von Sozial- und Arbeitslosenhilfe vorexerziert.

Das wirkt vor allem deshalb nicht mehr, weil die FDP nicht zufällig dreimal über zu enge Verbindungen mit der Industrie stolperte. Lambsdorffs Parteispenden sowie Möllemanns und Schwaetzers Werbebriefe unterscheiden sich nur durch das Kaliber. Gemeinsam ist den Fällen die mangelhafte Trennung zwischen Regierung und Geschäft. Toller treiben es da in Westeuropa wohl nur die italienischen Christdemokraten, und zwar aus demselben Grund: zu langes Regieren. Wenn darum heute ein Freidemokrat vors Volk tritt und Sparsamkeit fordert, schallt ihm nur ein „ausgerechnet du“ entgegen. Allerdings kann man mittlerweile nicht mehr sicher sein, ob die FDP sich in der parlamentarischen oder außerparlamentarischen Opposition noch regenerieren kann. Personelle und programmatische Auszehrung könnten die normale demokratische Alternative – Regieren oder Opponieren — verunmöglichen. Für die Partei heißt es mehr denn je: Regieren oder Untergang. Trotzdem ist es nicht allein der in langen Regierungsjahren erworbenen Meinungslosigkeit der FDP zu verdanken, daß sie ihre Funktionen nicht mehr ausfüllen kann. Die Staatsquote zu senken ist in einer Gesellschaft fast nicht möglich, die es sich in allen Bereichen angewöhnt hat, Konflikte durch mehr Geld und Probleme durch mehr Staat auszugleichen. Insofern ist das Erbe, das die FDP hinterläßt, nicht einfach zu übernehmen. Denn allen Spar- und Verzichtsforderungen zum Trotz wissen weder SPD noch CDU, wie sie die Hungerkur beginnen sollen, ohne schlagartig ganze Klientelgruppen zu verlieren. Und auch die Grünen haben noch nicht ernsthaft damit angefangen, ökologisch motivierte Sparkonzepte zu entwerfen.

Aber eine Gesellschaft, die nicht sparen will oder einfach keinen politischen Mechanismus findet, mit dem sie es beginnen könnte, muß sich unter Krisenbedingungen um so mehr abschotten, restriktiv und autoritär werden. So schließt sich der Kreis schwindender Liberalität. Hier tritt derzeit niemand das Erbe an. CDU und erst recht CSU haben in Fragen von Demokratie und Recht traditionell einen Hang zum Autoritären. Bei der SPD und sogar bei den Grünen bildet er sich im Kampf gegen Rechtsextremismus gerade heraus. Vielleicht ist die FDP nicht mehr als die Lücke, die sie läßt. Doch eine Chance ist die BRD ohne FDP nur, wenn ihr positives Erbe rechtsstaatlicher Liberalismus und intelligente Sparsamkeit aufgenommen wird.

Es gibt noch einen anderen Grund, warum die Freude über den Niedergang der FDP verhalten sein muß. Wenn die Grüne Partei die Große Koalition in sich selbst vorwegnimmt, sich wieder stärker links und draußen definiert, wird sie bei ihrem Versuch, gegen die Große Koalition eine Art BATIIa-APO zu organisieren, am Rande des Parlaments herumfuhrwerken. Das allerdings ist höchst riskant. Denn eine FDP in Existenznöten, eine grüne Partei in der linken Parlamentsecke, die dräuenden Republikaner bei 10 Prozent und das Ganze inmitten einer galoppierenden Krise in Deutschland, könnte auch das Mehrheitswahlrecht populärer machen. Deutsche halten keine italienischen Verhältnisse aus.

Daß hinter der öffentlichen Schlachtung der FDP ein Plan stecken könnte und dahinter die Idee, eine große Koalition für 1994 möglichst stark zu machen, und dahinter die Strategie, dauerhaft instabilen gesellschaftlichen Verhältnissen die künstliche Sicherheit eines Mehrheitswahlrechts aufzupflanzen, all das könnten nur ausgemachte Verschwörungstheoretiker vermuten. Und die gibt's ja nicht mehr. Aber, Gelegenheit macht bekanntlich Diebe. Bernd Ulrich

lebt als freier Autor in Köln