Saddams Muskelspiel soll Irakis befrieden

■ Das Leben im Irak ist zu einem täglichen Überlebenskampf geworden, Volk und Armee sollen durch eine Demonstration der Stärke bei der Stange gehalten werden

„Die Leute hier haben die Schnauze voll von diesem Spiel, von dem Kriegsgeschrei, von den Sanktionen. Sie wollen keinen Krieg. Jeder möchte nur in Frieden leben, seiner Arbeit nachgehen und einen Hauch von dem Wohlstand wiedererlangen, wie wir ihn hier früher gekannt haben.“

Der das sagt, möchte lieber nicht mit Namen genannt werden – aus Angst vor Repression durch die gefürchteten irakischen Sicherheitsorgane. Denn solch fatalistische Äußerungen passen nicht in das Bild, das der irakische Diktator Saddam Hussein der Weltöffentlichkeit von Situation und Moral im Lande in den letzten Tagen präsentiert.

Nach Meinung internationaler Beobachter in Bagdad verfolgt das Regime mit seinen neuerlichen Provokationen gegenüber den Vereinigten Staaten drei Ziele: einmal wolle es die Welt auf die schwierige Lage aufmerksam machen, in der sich die irakische Bevölkerung durch die verhängten Wirtschaftssanktionen befindet; des weiteren solle die notleidende Bevölkerung bei der Stange gehalten werden, indem die Regierung Stärke zeigt; und schließlich sei das Muskelspiel Bagdads eine Botschaft an unzufriedene Militärs, die – durch die Versorgungslage weitgehend demotiviert – durch den permanenten Alarmzustand gar nicht erst auf „dumme Gedanken“ kommen sollen; solange die Truppe auf eine „äußere Bedrohung“ vorbereitet sein müsse, sei die Gefahr, daß Armeeangehörige das Regime herausfordern, eher gering. Denn da fehle die Zeit, sich um interne politische Angelegenheiten zu kümmern.

Das staatliche Fernsehen und die Zeitungen berichteten am Sonntag und Montag wie schon in der Vergangenheit ausführlich über Gespräche zwischen Saddam als Oberkommandierender der irakischen Streitkräfte und der Militärführung; wiederholt unterstrich Saddam Hussein dabei die hohe Moral und Verantwortung seiner Mannen.

Unzufriedenheit und Wut nehmen zu

Woran die Bevölkerung sich offenbar ein Beispiel nehmen soll. Die aber wird zusehends nervöser, das Leben in Bagdad ist zu einem täglichen Überlebenstraining geworden, und die Entbehrungen begünstigen Frustration und stillschweigende Opposition. Obwohl von den repressiven Sicherheitsorganen Bagdads und gelegentlichen Exekutionen mutmaßlicher Regelverletzer bislang erfolgreich neutralisiert, geben die meisten Iraker schon seit längerem zu, daß Unzufriedenheit und Wut in der Bevölkerung zunehmen.

Die Menschen fürchten, eine erneute Krise könnte ihre durch die Wirtschaftssanktionen ohnehin prekäre Lage noch verschärfen. Um zu verhindern, daß die Leute die Supermärkte stürmen, wird ihnen durch Zeitungsberichte versichert, daß die Läden voll sind und die Vorräte reichen. Dennoch leben die Iraker in großer Anspannung und machen sich Sorgen über ihre Zukunft. Die meisten, so unser ungenannter Gewährsmann, hofften, daß Saddam Hussein sich dem neuen Mann im Weißen Haus versöhnlicher präsentieren wird. Nora Boustany (wps), Bagdad