Nachschlag

■ Words/Worte: Eine deutsch-amerikanische Lesung

Lust am Text des anderen – das war das ungeschriebene Motto der gemeinsamen Lesung von John Epstein und Gino Hahnemann vorgestern im Café Clara. Epstein, ein in Westberlin lebender Amerikaner, und Hahnemann, ein von Amerika angezogener wie abgestoßener Ostberliner, sind Dichter und Nachdichter in einer Person: Sie übersetzen ihre Texte gegenseitig.

Solch ein Experiment, nicht selten ein heikles Unterfangen, setzt Kongenialität voraus. Im Fall des Duos Epstein/Hahnemann kann man von einem gelungenen Versuch sprechen – obwohl sich beide Lyriker unterschiedlichen Traditionen verpflichtet fühlen. Während Hahnemann nach eigenen Worten „schreibt, wie er spricht“, spielt Epstein mit Formen der Beat-Lyrik und abstrakten Inhalten. Er will die Realität nicht nachbilden; es macht ihm Spaß, seine eigene zu erschaffen. Und dazu bedient er sich verschiedenster Methoden – keine konservativer oder progressiver als die andere, wie er selbst sagt. Man sollte keine Ästhetik und keine literarische Technik gegen die andere ausspielen, findet Hahnemann.

Epsteins Sprache ist streckenweise elegisch, ein Singsang, der von den Lippen perlt. Dann wieder rennen die Worte im Affenzahn miteinander um die Wette. Sie geraten ins Glucksen, brechen ab, heben wieder an. Hahnemanns Gedichte haben nur scheinbar einen trockeneren Ton, Ironie wechselt ab mit Pathos, Umgangssprache mit komplizierten Wendungen.

Beide Übertragungen erhellen einander gegenseitig. Die abwechselnde Rezitation führt sogar zu unwillkürlicher Komik, wenn zum Beispiel Hahnemanns Abscheu vor Deutschlands Vergangenheit plötzlich auf amerikanisch erklingt; oder wenn Epsteins rhythmische Litaneien im Deutschen aufgebrochen werden und dadurch spröder wirken.

Ein Gedicht wird absichtlich simultan und im Stehen vorgetragen, so daß die beiden verschiedenen Sprachen ineinandergreifen. Da sich die beiden Lyriker nicht als Interlinearübersetzer verstehen, ist es nicht verwunderlich, daß die nachgedichtete Fassung manchmal stark vom Original abweicht. Wichtiger ist beiden wohl der nachgeahmte Klang und der nachempfundene Sinn des jeweils fremden Textes. Was bleibt, ist „mark in worten“: „mark in words“. Ruth Johanna Benrath