Morphium, Reisen und kein Halt

■ Die lesbische Schweizer Schriftstellerin Annemarie Schwarzenbach

Eine leere Flasche Milch in der Hütte eines Bergarbeiters in Tennessee, streikende Arbeiter beim Kartenspiel oder Musik in den Negerslums Washingtons – immer sind es die Details, die sie faszinieren.

1936 bis 1938 reist die Schriftstellerin und Journalistin Annemarie Schwarzenbach durch die USA und erstattet Bericht von einer Gesellschaft, die sie in ihren Brüchen wahrnimmt. Der Optimismus der Roosevelt-Ära kann die kritische Beobachterin nicht bestechen, sondern der mühsame Kampf der aufkommenden Gewerkschaftsbewegung wird zu ihrem Thema. Als eine der wenigen Frauen ihrer Zeit versteht sie es, die Kamera als ein Mittel des dokumentarischen Arbeitens einzusetzen. Sachlich-distanziert und sensibel zugleich beschreibt sie mit ihren Bildern das Land, das noch in allem die Spuren der Großen Depression trägt. Ihre Arbeiten erschienen damals in den größten Schweizer Zeitungen. Jetzt wurden sie vom Lenos Verlag anläßlich des 50. Todestages der Autorin unter dem Titel „Jenseits von New York“ veröffentlicht.

Annemarie Schwarzenbach (1908 bis 1942) schreibt in einer Zeit des Zweifels. Dieser manifestiert sich sowohl in weltpolitischer als auch in persönlicher Hinsicht. Die Autorin begreift sich als Emigrantin, kann sich jedoch von ihrer deutschen Sprache nicht lösen. Für sie als Antifaschistin sind in diesen Jahren Veröffentlichungen im deutschsprachigen In- und Ausland fast unmöglich geworden. Und dennoch ist das Schreiben von jeher der eigentliche Lebensinhalt von Annemarie Schwarzenbach. Sie beneidet ihren Freund Klaus Mann, der auf Englisch publiziert und dessen Exilzeitschrift Decision sie mitfinanziert. Aus einer der reichsten Schweizer Familien stammend, war sie den Geschwistern Erika und Klaus Mann schon immer eine willkommene Mäzenin.

Die Freundschaft mit ihnen stellt den eigentlichen Drehpunkt im Leben der Schweizerin dar. 1930 hatte die Bürgerstochter die Dichtertochter Erika Mann in Zürich kennengelernt und sich unglücklick in sie verliebt. Ihr folgt sie nach Berlin und erlebt dort eine Zeit der Exzesse. An der Seite des ebenfalls homosexuellen Klaus Mann lernt sie das Morphium kennen. Für Annemarie Schwarzenbach beginnt ein lebenslanger Kampf mit der Droge, die sie gegen ihre Depressionen einzusetzen versucht.

Während sich die von Annemarie Schwarzenbach über alles geliebte Mutter dem Nationalsozialismus zuwendet, entwickelt die Tochter sich zur engagierten Antifaschistin. Hatte sie noch 1933 den unpolitischen Roman „Lyrische Novelle“ – den lesbischen Inhalt maskiert sie, indem sie einen männlichen Ich-Erzähler einsetzt – veröffentlichen können, findet sie für die Erzählungen, die 1934 in Vorderasien entstehen, keinen Verleger mehr. Sie thematisiert darin den deutschen und den italienischen Faschismus, und damit werden ihre Texte politisch zu brisant. Erst Ende der achtziger Jahre erschienen sie unter dem Titel „Bei diesem Regen“.

Den drohenden Zusammenbruch Europas erfährt die junge Autorin als persönliche Katastrophe. Von nun an versucht sie einen Ort zu finden, dem sie sich zugehörig fühlen kann. Es beginnen ihre Reisen nach Persien: immer von der Kamera begleitet, immer schreibend und immer wieder unter dem Einfluß von Morphium. In Teheran heiratet sie den französischen Diplomaten Claude Clarac, doch auch in der Ehe findet Annemarie Schwarzenbach keinen Halt. Es entstehen die Aufzeichnungen zu dem Roman „Das glückliche Tal“. In ihm zeigt die Autorin den Niedergang der alten Welt am Scheitern des Erzählers „am Rande der Welt“.

Erst als Annemarie Schwarzenbach auf die Journalistin Barbara Hamilton-Wright trifft, scheint sich ihr Schicksal zum Guten zu wenden. Mit der Amerikanerin reist sie in die USA, wo sie ihre sozialkritischen Arbeiten schreibt. Doch es sind nur kurze Jahre der Entspannung. Drei Wochen nach dem österreichischen Anschluß 1938 ist sie im Auftrag Klaus Manns in Wien. Hier stellt sie Kontakt zwischen den deutschen Emigranten und dem antifaschistischen österreichischen Untergrund her. Sie verhilft vermittels ihres Diplomatenausweises mehreren Flüchtlingen zur Ausreise. Wieder dokumentiert sie ihren Aufenthalt mit der Kamera („Auf der Schattenseite“).

Doch Annemarie Schwarzenbachs politisches Engagement ist ständig bedroht durch ihre Alkohol- und Drogensucht. Die Reisen nach Amerika wechseln ab mit Aufenthalten in Entziehungskliniken in der Schweiz. Ist sie dort für das Komitee bedrohter Hitler- Gegner tätig, steht sie hier monatelang unter ärztlicher Betreuung. 1939 bricht sie mit ihrer Freundin Ella Maillart zur Reise nach Indien auf, in der Hoffnung, der Droge zu entfliehen. Schon in Sofia wird sie rückfällig. Beschrieben ist die beschwerlich Fahrt in „La voie cruelle“.

1940 nach New York zurückgekehrt, wird Annemarie Schwarzenbach mit der Diagnose Schizophrenie in eine Irrenanstalt eingeliefert. Auch die Freundin jener Jahre, Carson McCullers – die beiden Schriftstellerinnen verbindet eine komplexe, problematische Beziehung – kann ihr nicht helfen. Die Schweizerin wird aus den USA ausgewiesen und kehrt nach einem längeren Afrika-Aufenthalt in die Schweiz zurück. Hier erleidet sie einen Fahrradunfall, an dessen Folgen sie am 15.November 1942 stirbt.

Werk und Leben Annemarie Schwarzenbachs, erläutert durch die umfangreichen Nachworte ihrer Herausgeber Roger Perret und Charles Linsmayer, kennzeichnen auf tragische Weise die Verkettung eines Individuums mit den Auswirkungen des Nazismus. 1933 hatte sie geschrieben „Ich gehe wie ein Fremder über die Felder und bin nur geduldet.“ Katharina Scharlowski

„Jenseits von New York“. Lenos Verlag, Basel 1992, 30DM.

„Lyrische Novelle“. Lenos Verlag, Basel 1988, 26DM.

„Bei diesem Regen“. Lenos Verlag, Basel 1989, 32DM.

„Das glückliche Tal“, Ullstein TB, Frankfurt/M. 1991, 14,80DM.

„Auf der Schattenseite“. Lenos Verlag, Basel 1990, 54DM.