Bewährungsprobe für die albanische Demokratie

Wenige Monate nach dem Wahlsieg der Demokratischen Partei unter Staatspräsident Salia Berisha rechnete dieser mit innerparteilichen Gegnern ab. Sie werfen dem Präsidenten nun vor, eine neue Diktatur errichten zu wollen.  ■ Von Anton Lewis

Bahnt sich in Albanien eine neue Diktatur unter Staatspräsident Sali Berisha an? Diese Ansicht vertritt zumindest eine Gruppe von Politikern, die im Sommer des vergangenen Jahres aus der Demokratischen Partei (DP) des Präsidenten ausgeschlossen wurde. Und auch ein Blick ins staatliche Fernsehen führt zu der Feststellung, daß Berisha schon heute öfter als seine kommunistischen Vorgänger in den Abendnachrichten auftaucht – und das will etwas heißen.

Dabei hatte sich die im Dezember 1990 gegründete DP als Sammelbecken der demokratischen Reformbewegung gegen die KP- Herrschaft des Enver-Hodscha- Nachfolgers Ramiz Alia verstanden, hatte mit diesem Image bei den ersten freien Parlamentswahlen vom 27.März 1991 einen überwältigenden Sieg errungen. Mit 62 Prozent der Stimmen verbannte sie die 46 Jahre lang regierenden Kommunisten stalinistischer Prägung, die gerade noch jeden vierten Wähler hinter sich scharen konnten, in die Opposition.

Doch schon drei Monate nach ihrer Regierungsübernahme erhielt die DP bei den Kommunalwahlen Ende Juli einen ersten gewaltigen Dämpfer. Sie büßte gegenüber der März-Wahl 20 Prozent der Stimmen ein, während die Sozialistische Partei (SP) als Nachfolgerin der KP bis auf zwei Punkte an das Resultat der Regierungspartei herankam.

Fast drei Wochen vergingen bis zur Bekanntgabe des endgültigen Wahlergebnisses. Diese Zeit nutzte die Regierung, um im Eilverfahren im Parlament ein Gesetz durchzuboxen, das ihre Mandatsträger auf Gemeinde- und Bezirksebene zu Lasten der Sozialisten begünstigte. Zwar war die Regierung auf Verluste gefaßt gewesen. Sie rechnete aber nicht mit einem derartigen Vertrauenseinbruch bei der Bevölkerung, die inzwischen deutlich erfahren hatte, daß Wirtschaftswunder länger brauchen, als in Wahlreden angekündigt.

Kaum daß die regierende DP die erste ernsthafte Verwarnung der Wähler verdaut hatte, kam es im August zu einer innerparteilichen Abrechnung, die mit dem erwähnten Ausschluß von prominenten Gründungsmitgliedern endete. Der Überraschungscoup löste dann Anfang November die Gründung der Demokratischen Allianz (DA) aus.

Kommunisten haben keinen Zutritt

In ihr finden sich mehrere führende Köpfe der ersten Stunden des demokratischen Umbruchs wieder: etwa Arben Imani, ein Regisseur und Schauspieler, der zeitweilig Fraktions- und bis August einer der beiden stellvertretenden Parteivorsitzenden der DP war; so auch Neritan Ceka, der sich vor einem Jahr mit Parteichef Berisha in der Frage der weiteren Beteiligung an der kommunistisch beherrschten Übergangsregierung überworfen hatte und daraufhin seine Ämter als Vize-Parteichef und Fraktionsvorsitzender zur Verfügung stellte. So schließlich auch Gramoz Pashko, stellvertretender Ministerpräsident und Wirtschaftsminister der Übergangsregierung.

Die Führung der DA charakterisiert die Demokratische Allianz als eine Partei der Mitte beziehungsweise der rechten Mitte. Sie will sich, anders als andere Parteien, von der Basis her organisieren. Ehemalige KP-Mitglieder sind sechs Jahre lang von Führungspositionen in der Partei ausgeschlossen. Das bedeutet enorm viel in einem Land, in dem die Zugehörigkeit zur KP weitaus mehr als in anderen Ostblockstaaten für Beruf und sozialen Status ausschlaggebend war.

Für die Demokratische Partei hat Imani, der im Dezember zum stellvertretenden Vorsitzenden der Allianz gewählt wurde, dann auch nur harte Worte übrig: „Die DP ist keine demokratische Partei mehr. Sie vertritt immer stärker die Interessen der ehemaligen Großgrundbesitzer und Monarchisten. Diese sind seit einiger Zeit besonders aktiv in der Parlamentsfraktion.“ Berisha habe sich mit dieser reaktionären Gruppe verbündet, um die Intellektuellen und Liberalen aus der Partei hinauszuwerfen. Imani wirft dem Staatspräsidenten seinen autoritären und populistischen Führungsstil vor. Er greife immer öfter in die Pressefreiheit ein, verletze die Menschenrechte, indem er Demokraten und Richter, die ihm nicht genehm sind, einschüchtere und Leute ohne entsprechende Qualifikationen in Ämter und Ministerien einsetze, nur weil sie ihm bedingungslos ergeben seien. Er ist überzeugt, daß Berisha, der vor der Wende die KP-Zelle der medizinischen Fakultät der Universität von Tirana geleitet hatte und auch Leibarzt von Enver Hodscha war, weiterhin kommunistischen Denkkategorien verhaftet sei.

Der DA-Mitbegründer weiter: „Ich kann als Demokrat, als Christdemokrat nicht länger schweigen, wenn wieder nach dem kommunistischen Grundsatz ,Partei und Staat sind eins‘ regiert wird. Den Leuten, die heute an der Regierung sind, geht es nicht darum, einen demokratischen Staat aufzubauen, sondern nur darum, ihn zu beherrschen.“

Berisha demonstriert Gelassenheit

Auf all diese Vorwürfe reagiert Berisha, der weiterhin alle Fäden in der DP zieht, obwohl er den Parteivorsitz mittlerweile abgegeben hat, gelassen. „Sollen die Ausgeschlossenen doch eine neue Partei gründen. Ich habe sie sogar dazu ermuntert. In einer Demokratie hat jeder das Recht dazu.“ Größere Wahlchancen räumt er der DA nicht ein. Deren Führung genieße nur wenig Rückhalt in der Bevölkerung.

Bei ihr handele es sich um Leute ohne klare politische Orientierung, die einmal linke, dann wieder rechte und gelegentlich sogar rechtsradikale Positionen vertreten hätten.

Eduardo Selami, der neue junge DP-Chef, reagiert ähnlich wie sein politischer Ziehvater. „Diejenigen, die im August die Partei verlassen mußten, haben ganz einfach die Spielregeln von Demokratie nicht eingehalten. Pashko wollte Ministerpräsident werden, und Imani hatte auch bereits seinen Anspruch auf das Amt des Parlamentspräsidenten angemeldet. Als daraus nichts wurde, haben sie gegen die Partei agiert.“

Selbst bei westlichen Diplomaten hat der autoritäre Führungsstil Berisha inzwischen Befremden ausgelöst. Zugleich geben sie jedoch zu bedenken, daß Albanien in diesem Jahrhundert praktisch ohne Unterbrechung mit starker Hand regiert worden ist und daß die Machthaber von heute diese autoritäre Tradition nicht über Nacht abschütteln könnten, sondern sich erst langsam in demokratischen Spielregeln üben müßten. Auch halten sie ein gewisses Maß an straffer politischer Führung für unerläßlich, um jene Probleme in den Griff zu bekommen, die mit dem Zusammenbruch des Stalinismus aufgebrochen sind: der Verfall der staatlichen Ordnung mit ihren Begleiterscheinungen einer stark wachsenden Kriminalität, die Sozialminister Shehi auf die „tiefe moralische Krise einer völlig orientierungslosen Jugend“ zurückführt.

Kritik an der Wirtschaftspolitik

Die Strategie der DA richtet sich zunächst gegen die Sozialisten. Diese verspüren seit den Juli-Wahlen wieder Aufwind und umwerben die DP mit dem Angebot einer „Koalition aller relevanten politischen und sozialen Kräfte“, wie sich deren Fraktions- und stellvertretender Parteichef Namik Dokle ausdrückt. Ziel dieses, von der DP jedoch kategorisch verschmähten, Bündnisses müsse es sein, „eine Marktwirtschaft mit einer starken sozialen Dimension wie in Deutschland“ aufzubauen.

Imani will eine Rückkehr der Sozialisten an die Macht verhindern. Diesen kreidet er in der jetzigen Situation besonders an, ihrer verfassungsmäßigen Oppositionsrolle überhaupt nicht gerecht zu werden und sich nur in Demagogie und der Verteidigung ehemaliger Pfründe zu üben.

Die neue Partei müsse der großen Masse der Unzufriedenen und Enttäuschten, die bei der letzten Wahl zur SP übergelaufen oder den Urnen ferngeblieben waren (das war jeder dritte Wähler), eine demokratische Heimat bieten.

Vornehmlich aus diesem Potential will die DA ihre Anhänger rekrutieren. Die Ziellatte, die sich Imani setzt, ist sehr ehrgeizig. „Wir haben die Chance, 20 bis 30 Prozent der Wähler für uns zu gewinnen. Wenn wir scheitern, sind wir selber schuld.“

Scharfe Kritik übt die DA jedoch auch an der Wirtschaftspolitik Berishas. Der Versuch, mit einer restriktiven Finanzpolitik die Inflation einzudämmen, führt nach Ansicht Imanis zu einem unvertretbar hohen Produktionsrückgang, zu unverantwortlich großer Arbeitslosigkeit und ungerechtfertigten Lohneinbußen. Alle diese Faktoren bereiteten das Terrain für eine soziale Explosion, die nur extremen Kräften nutze.

Niemand in Albanien vermag sich derzeit auch auszumalen, was geschehen wird, wenn schon in nächster Zeit eine Flüchtlingswelle aus dem Kosovo das arme Mutterland überrollen wird. In diesem Teil Restjugoslawiens leiden die 1,8 Millionen Albaner, die 90 Prozent der dortigen Bevölkerung stellen, unter der immer brutaleren Repressionspolitik durch die serbischen Statthalter. Die äußerst kritische Lage könnte schon bald zur Vertreibung von Tausenden ihrer Landsleute führen.

Nach den Erfahrungen des entbehrungsreichen Winters des letzten Jahres, als es an allem, einschließlich Heizmaterial, fehlte, könnten die kommenden Monate somit zu einer weiteren Bewährungsprobe für die junge albanische Demokratie werden. Ein westlicher Diplomat: „Wenn die Versorgung zusammenbricht, kann es zu Aufruhr und Gewaltaktionen kommen.“