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■ Honecker ist frei, die Aufarbeitung muß weitergehenDie Mühen der Ebene

Erich Honecker verläßt das Gefängnis in Berlin- Moabit als sterbenskranker Mann. Die Aufhebung des Haftbefehls gegen ihn ist ein humanitärer Akt und von Geboten der Menschlichkeit diktiert. Damit ist die Frage von individueller, politischer und juristischer Schuld der Führungsfiguren einer untergegangenen DDR für Staats- und Regierungsverbrechen überhaupt nicht berührt. In geradezu unerträglicher Weise gelang es Prozeßführung und Vorsitzendem Richter, den notwendigen Prozeß in wichtigen Teilen zur Farce werden zu lassen, anstatt mit diesem ersten und gewissermaßen Musterprozeß gegen die Führungselite einer Diktatur Maßstäbe für Rechtstaatlichkeit zu setzen.

Läßt sich die Langwierigkeit der Anklageerhebung gegen Honecker und andere führende Funktionäre noch halbwegs verstehen, so ist die fehlende Koordination von Untersuchungsausschüssen, Arbeitsstellen für Regierungskriminalität und anderen damit befaßten Institutionen in der Untersuchung weiterer Delikte inzwischen ein Skandal. Wenn die eine Hand angeblich nicht weiß, was die andere tut, wenn entscheidende Akten immer noch in den Untiefen des Bundeskanzleramtes und der Geheimdienste lagern, nimmt es nicht Wunder, daß die klapprigsten Greise auf der Anklagebank sitzen, während Gestalten wie Markus Wolf, Egon Krenz und Schalck-Golodkowski in vollster Lebensfrische den Rechtsstaat in Fernsehauftritten verhöhnen dürfen. Verschwörungstheorien greifen meist zu kurz, aber es muß harte Gründe geben, wenn Ingrid Köppe in einer Einschätzung der Arbeit des Schalck-Untersuchungsauschusses die Interessengemeinschaft von Wahrheitsverweigerern auf Regierungsbänken anklagt. Wer von den Angeklagten um Honecker schuldfähig und haftfähig ist, muß der Anklage entgegensehen, aber dies als eine Art symbolisches Opfer zu betrachten, mit dem alles andere Unrecht abgegolten ist, wäre grundfalsch.

Das Interesse der Öffentlichkeit, welches durch die Kapriolen im Honecker-Prozeß zu erlöschen drohte, könnte wieder erwachen, wenn es endlich gelingt, Aufgaben der Rechtsprechung, der Straftatenermittlung, des Zusammenhangs von juristischer und politischer Verantwortung und des gesamtdeutschen Kontextes gemeinsam zu diskutieren. Es gibt auf Länder- und Bundesebene Untersuchungs-Ausschüsse, die sich damit befassen. Es gibt eine Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte, aus der Gauck-Behörde ist inzwischen auch weit mehr als ein Auskunftsbüro geworden. Und es gibt zahlreiche Initiativen Engagierter und Betroffener, die sich der Aufarbeitung von DDR-Vergangenheit widmen.

Ob mit all diesen Bemühungen und einem Raum in der Öffentlichkeit das erlahmende Interesse großer Teile der Bevölkerung wieder geweckt werden kann, bleibt dennoch fraglich. Ohne diese Versuche wird es aber schwer sein, von einer wirklichen Mühe demokratischer Entwicklung in Zeiten harter Bedrohung der Demokratie zu sprechen. Wolfgang Templin

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