■ Interview mit George Kenney zur Bosnien-Politik der USA
: Der niedrige Preis für Aggression

George Kenney war seit Anfang letzten Jahres im US-Außenministerium zuständiger Abteilungsleiter für Jugoslawien. Am 25.August letzten Jahres reichte er aus Protest gegen die Untätigkeit der Bush-Administration im Konflikt um Bosnien seine Kündigung ein. In der letzten Woche war er maßgeblich mitbeteiligt, den Besuch des bosnischen Präsidenten Izetbegović in New York und Washington zu organisieren.

taz: Die Genfer Verhandlungen scheinen vorerst weiterzugehen, nachdem der Vertreter der bosnischen Serben, Radovan Karadžić, nun doch dem Plan der Vermittler Vance und Owen zugestimmt hat..

Kenney: Ich betrachte das als taktisches Manöver der Serben, Zeit zu gewinnen. Nach meiner Befürchtung wird sich wiederholen, was Milošević bereits letztes Jahr mit der Friedensvereinbarung in Kroatien angestellt hat. Da gab es analog zu Karadžić heute ebenfalls einen Hardliner, den Serbenführer in der Krajina, Babić. Babić wollte der Friedensvereinbarung erst nicht zustimmen, wurde von Milošević dann aber dazu gedrängt. Milošević hat sich am Ende jedoch an kaum einen der vereinbarten Punkte gehalten.

Sie halten das für eine Rollenaufteilung? Karadžić spielt in Genf den Hardliner, damit Milošević als Kompromiß- und Friedensstifter auftreten kann?

So könnte man das beschreiben. Nach meiner Ansicht gibt es keinen Anlaß, sich von einer Vereinbarung irgendetwas zu versprechen. Statt dessen müßte der Westen den Serben mit allem Nachdruck klar machen, daß sie sich an alle unterzeichneten Abkommen zu halten haben. Dazu zählt unter anderem, daß die Angriffe auf Städte sofort einzustellen sind, Hilfsgüter ungehindert geliefert werden und die Menschen in ihre Heimatorte zurück können. All das ist in Resolutionen des Sicherheitsrates festgelegt. Andernfalls muß der Westen militärisch gegen die Serben in Bosnien und vielleicht auch in Serbien vorgehen.

Zuerst müßte das Waffenembargo gegen Bosnien aufgehoben werden. Darunter verstehe ich nicht nur die Gewährung von Waffen-, sondern auch Ausbildungshilfe. Der nächste Schritt wären Luftangriffe gegen serbische Stellungen in Bosnien. Wenn Milošević den Konflikt eskalieren will, indem er Truppen aus Serbien nach Bosnien schickt, dann müssen wir die Intervention ebenfalls eskalieren: Luftangriffe gegen Stellungen in Serbien – vor allem Kasernen, Nachschub- und Kommunikationszentren. Ich sehe keine Notwendigkeit für eine große Zahl an Bodentruppen. Man braucht ein paar Einheiten, um die Artillerie der Serben zu kontrollieren. Dazu sollten westeuropäische Truppen eingesetzt werden – Franzosen und Briten.

Was passiert, wenn nicht militärisch interveniert wird?

Dann wird die Versuchung für Milošević ungemein groß sein, Nichtserben auch aus dem Kosovo und dem Sandschak zu vertreiben. Dann springt der Konflikt auf Mazedonien über, Griechenland und Albanien wären involviert, schließlich auch die Türkei. Um zum Beispiel im Kosovo ein zu befürchtendes Massaker an den Albanern zu verhindern, reichen Luftangriffe nicht aus. Dann muß man mit Bodentruppen intervenieren. Wir müssen den Serben jetzt im Krieg um Bosnien klar machen, daß sie für ihre Aggression einen sehr hohen Preis bezahlen werden.

Was Sie vorschlagen, dürfte im UN-Sicherheitsrat auf das Veto Rußlands stoßen, wo Nationalisten die Regierung Jelzin immer stärker unter Druck setzen.

Dann muß man ohne das Votum der UNO im Rahmen der Nato vorgehen. Wenn sich innerhalb der Nato wiederum Griechenland sperrt, dann muß man eine Ad-hoc-Koalition formen. Das Problem ist: Wir haben keine internationalen Institutionen, die mit dieser Art von Krise fertig werden können.

So weit die Forderungen des George Kenney. Was erwarten Sie sich von der neuen Clinton-Administration? Zeichnet sich unter dem neuen Präsidenten endlich eine politische Strategie bezüglich Ex-Jugoslawien ab?

Sie gehen in Ihrer Frage davon aus, daß Clinton im Kontext einer politischen Konzeption denkt. Ich befürchte eher, daß er und sein Team eine Interessenabwägung vornehmen: Inwieweit passen Handeln oder Nichthandeln in ihre politische Tagesordnung. Mein Eindruck ist, daß Clintons Leute sich über die Folgen des Nichthandelns nicht klar sind. Sie hoffen, ein paar Monate Zeit zu haben, bevor sie sich ernsthaft mit dieser Frage befassen. Innenpolitische Themen haben Priorität.

Sie haben nach Ihrem Ausscheiden aus dem State Department deutlich das Desinteresse des ehemaligen Außenministers Baker an der Krise in Jugoslawien kritisiert. Seinem Nachfolger, Lawrence Eagleburger, haben Sie vorgeworfen, er habe im Fall Bosnien „nie seinen moralischen Kompaß“ gefunden. Hat das damit zu tun, daß er über ausgezeichnete Geschäftsbeziehungen mit ehemals jugoslawischen Unternehmen verfügte?

Ich halte das nicht für einen relevanten Faktor. Ich kann nicht allzuviel über ihn als Person sagen, aber ich kenne seine Arbeit gut genug, um zu wissen, daß das keine Rolle spielte. Ich werfe ihm vielmehr vor, daß er die beiden wichtigsten Aspekte des Bosnien-Konflikts nie begriffen hat. Zum einen den moralischen Aspekt: Wenn unsere Gesellschaften nicht angemessen auf diese Art der Gewalt reagieren können, dann heißt das, daß wir unsere eigenen Wertvorstellungen nicht ernst nehmen. Zum anderen gibt es den geschilderten geopolitischen Aspekt. Aufgrund seines Erfahrungshintergrundes hat Eagleburger den Konflikt immer sehr aus der Warte Belgrads betrachtet.

Doch sein Einfluß auf die Jugoslawienpolitik der USA war beschränkt. Die Richtlinien kamen nicht aus dem State Department, sondern aus dem Weißen Haus. Und die lauteten: Wir werden militärisch nicht aktiv. Wir unterstützen Verhandlungen, geben Statements heraus, aber nicht mehr. Im State Department gab es unterschiedliche Ansichten. Aber sowohl Bush als auch Baker haben einen Führungs- und Kommunikationsstil gepflegt, bei dem abweichende Meinungen kaum zur Sprache kamen. Die leitenden Beamten hätten sowohl die Intelligenz als auch das Rückgrat beweisen müssen, im Weißen Haus aufzutreten, und zu sagen: „Eure Strategie wird nicht funktionieren – hier sind unsere Alternativen.“

Welche Rolle sollte Deutschland Ihrer Meinung nach in der Region spielen?

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt würde ich eine aktivere Rolle der Deutschen sehr begrüßen – sowohl im Falle Bosniens als auch Mazedoniens. Eine Anerkennung Mazedoniens und die Gewährung von Sicherheitsgarantien könnte eine Ausdehnung des Konflikts vielleicht verhindern. Bislang aber lassen wir es zu, daß Griechenland die Anerkennung blockiert.

Was entgegnen Sie Leuten in den USA, die den Jugoslawienkonflikt primär für eine Angelegenheit der Europäer halten – und denen auch in der Frage der militärischen Intervention die Initiative überlassen wollen?

Den Verweis auf die Zuständigkeit der Europäer fand ich immer sehr unaufrichtig. Es war von Anfang an klar, daß Europa unfähig ist, diesen Konflikt zu lösen. Wenn wir ihn aber lösen wollen, dann müssen die USA die Führung übernehmen. Bei den Europäern können wir uns dann später beschweren. Interview: Andrea Böhm,

Washington