Dänemarks Premierminister vor dem Sturz?

■ Jahrelang wurde die Familienzusammenführung verhindert/ Schlüter hat's gewußt/ Heute erscheint der Untersuchungsbericht über den „Tamilen-Skandal“

Kopenhagen (taz) – Seit fünf Jahren gärt die Affäre, heute kostet sie den konservativen dänischen Ministerpräsidenten Poul Schlüter möglicherweise den Hut. Sein politisches Schicksal hängt von dem 6.000seitigen Abschlußbericht des Richters Hornslet über die Affäre ab. Was in den Medien fälschlicherweise „Tamilen-Skandal“ heißt, ist kein Flüchtlings-, sondern ein Justizskandal, der schon einige Herren im dänischen politischen Establishment um den Posten brachte.

Seit 1987 hatten verschiedene als asylberechtigt anerkannte Flüchtlinge aus Sri Lanka Anträge gestellt, die Einreise und den Aufenthalt für Familienangehörige zu genehmigen. Die Anträge waren eigentlich reine Formsache, denn es gab einen Rechtsanspruch auf diesen Familiennachzug. Beim Justizministerium jedoch landeten die Anträge in einer Schublade ganz unten und wurden eineinhalb Jahre lang „vergessen“. Journalisten der linken Tageszeitung Information stellten fest, daß hinter den Einzelfällen System steckte.

Der verantwortliche Justizminister Erik Ninn-Hansen mußte nicht nur seinen Sessel räumen – seine engsten Mitarbeiter hatten ihn als Initiator der Aktion desavouiert –, sondern wurde auch aus dem Amt des Parlamentspräsidenten katapultiert. Da wurde er plötzlich gesprächig: Er sei nur der Sündenbock, das „Vergessen“ der Anträge sei im Einvernehmen mit der gesamten Regierung, vor allem dem Ministerpräsidenten persönlich, geschehen.

Die ehemaligen Freunde Schlüter und Ninn-Hansen grüßen sich seither nicht mehr. In monatelanger Ausschußarbeit versuchte das Parlament der Wahrheit auf die Spur zu kommen, denn Ministerpräsident Schlüter hatte im April 1989 vor dem Folketing seine Hände in Unschuld gewaschen: Von der „Sonderbehandlung“ der tamilischen Flüchtlinge habe er nichts gewußt, sein Justizminister Ninn-Hansen habe offensichtlich eigenmächtig gehandelt. Und bei dieser Aussage blieb er seither. Vor dem Untersuchungsausschuß gab es Zeugenaussagen, die sowohl Schlüters als auch Ninn-Hansens Version stützten beziehungsweise untergruben. Erstaunlich viele StaatsdienerInnen zeigten Erinnerungslücken oder gaben widersprüchliche Darstellungen zum Besten.

Passenderweise gibt es einen direkt zuständigen Abteilungschef im Justizministerium, der zwischenzeitlich verstorben ist. Und dummerweise ist alles objektive Beweismaterial, wie Aktenvermerke, verschwunden oder aussagekräftig wie Kaffeesatz.

Richtig in Bedrängnis kam Schlüter ganz zum Schluß der Untersuchungen, die das politische Leben in Dänemark oft monatelang lähmten: Im Herbst letzten Jahres behauptete seine ehemalige Geliebte Pia Bagge, sie habe ein Telefonat mitgehört, bei dem Schlüter und Ninn-Hansen ihre Taktik gegenüber dem Parlament in dieser Sache abstimmten. Dabei sei Schlüters Mitwisserschaft eindeutig gewesen.

Schlüter hat das Parlament belogen. Aber ist es ihm nachzuweisen? In der Vergangenheit hat er bewiesen, daß er fest an seinem Sessel klebt. Kommt diesmal jedoch der Verwurf, er habe die Aufsichtspflicht über sein Kabinett vernachlässigt, muß er gehen. Das haben der kleinere Koalitionspartner Venstre und die parlamentarische Opposition gegenüber der Minderheitsregierung klargestellt. Wie es dann weitergeht, hat Schlüter noch in der Hand: Er kann zugunsten eines anderen konservativen Regierungschefs zurücktreten, eine neue Koalition bilden (lassen) oder Neuwahlen ausschreiben. Reinhard Wolff