Die Fans sind die wahren Schuldigen

■ Betrachtungen über die Krise beim FC St. Pauli und die mangelnde Wahrnehmung von Realitäten rund ums Millerntor

Im Wilhelm-Koch-Stadion der Spielstätte des FC St. Pauli glaubt Vereinspräsident Heinz Weisener immer noch, daß das Schicksal dem Kiezclub momentan nicht sonderlich hold ist. „Petrus ist kein St. Pauli-Fan“, ließ er angesichts des Nieselregens am Mittwoch abend vor dem Freundschaftsspiel gegen Spartak Moskau verlauten und versuchte so zu erklären, warum nur 1300 Zuschauer den Weg zu dieser überaus attraktiven Begegnung gefunden haben.

Ein namhafter Hamburger Sportjournalist indes sieht die Ursachen dafür, warum der FC bei dieser Begegnung von seinen Fans einen Korb erhalten hat, woanders: „Der St.Pauli-Kult besteht einfach nicht mehr in dem Maße.“ In der Tat: Der Kiezclub hat momentan weitereichende Probleme als einen schlechten Draht zu Petrus. Manfred Campe hat als Geschäftsführer der Marketing GmbH das Handtuch geworfen. Einen Tabellenneunzehnten der Zweiten Fußballbundesliga kann man nicht mehr so vermarkten, wie einen sympathischen Underdog in der deutschen Eliteklasse.

Aufgeschreckt durch die drohende sportliche und wirtschaftliche Bruchlandung des Vereins wird nun am Millerntor Ursachenforschung betrieben. Die wirtschaftliche Abhängigkeit von Heinz Weisener und die mangelnde — fußballerisch gespochen — Einstellung so manch eines kickenden Angestellten des Vereins sind Schuld an der Misere, heißt es unisono.

Wirtschaftlich wird sich zumindest in dieser Spielzeit nichts mehr ändern. Zu den Bürgschaften in Höhe von etwa 10 Millionen von Heinz Weisener gibt es derzeit keine Alternative. Im Spielerkader wird sich in dieser Saison auch nichts mehr ändern, wenn die Spieler nicht begreifen, daß nicht sie es sind, die von den Zuschauern so euphorisch gefeiert werden und das etwa die „Ottie, Ottie, Ottie“- Rufe bei Auftritten von Klaus Ot

1tens durchaus sarkastisch gemeint sind, ebenso die Beifallsbekundungen bei inzwischen jeder Aktion von St.Pauli-Torwart Klaus Thomforde. Die Wahrnehmung dieser Realitäten hat bei der Mannschaft noch nicht eingesetzt. „Unsere Gurkentruppe“, wie die Twens mit meist sechstelligen Jahres-Salär in der Fan-Postille Millerntor-Roar inzwischen tituliert werden, läßt sich weiterhin wie die Könige von St.Pauli feiern. Lakonisch wird das penetrante Vergrützen hochwertiger Torchancen als „Alte Krankheit“ des Vereins abgetan, fast so-

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9wie ein ärztlich attestiertes Gebrechen mit dem sich gewiefte Quintaner vor dem Sportunterricht drücken.

Die nahezu christliche Demuth, mit der die Weihestätte der „Religion FC St. Pauli“, das Millerntorstadion, aufgesucht wird, schadet dem Verein nur. Ein paar Pfiffe, Unmutsbekundungen an der richtigen Stelle also, würden so einige

Spieler wieder in die Realität zurückholen und sind somit besser als überhaupt nicht mehr zum FC zu gehen.

Kai Rehländer