Hamburgs Einmaleins der Macht

■ Hamburgs Herrschaftsstrukturen lassen sich am besten mit einer Exkursion auf dem Stadtplan verdeutlichen. Die politischen Direktiven kommen aus den Villen an der Elbchaussee und folgen der vorherrschenden...

lassen sich am besten mit einer Exkursion auf dem Stadtplan verdeutlichen. Die politischen Direktiven kommen

aus den Villen an der Elbchaussee und folgen der vorherrschenden Windrichtung zum Rathaus, zu SPD- und Gewerkschaftszentrale.

Wer einem Fremden in wenigen Minuten das politische Grundgefüge der Hamburger Machtstrukturen erklären will, braucht lediglich mit dem Finger eine Rundfahrt auf dem Stadtplan zu unternehmen.

Ausgangspunkt müßte die Elbchaussee sein: Von hier aus wird Hamburg regiert. Beim diskreten Nachmittagstee, beiläufig beim Frühstückshörnchen und gesellig beim Abendempfang. Ein Senat, der gegen die Elbchaussee regiert — das gibt es nicht.

Wenn dann der Finger langsam die gewaltige Strecke von den Landhäusern der Mächtigen zum Hamburger Rathaus entlangfährt, hat der einheimische Politikkenner Zeit, dem Fremden die aussagekräftige Symbolik dieser Entfernung zu erläutern. Hamburgs Machtelite haßt es weit mehr als andere Städte, sich im politischen Alltagsgeschäft die Finger schmutzig zu machen. Während in Köln, Stuttgart und München der industriell-politische Filz fettig glänzt und auch gesellschaftlich zu protzen weiß, freut man sich an der Elbchaussee, daß meist ein kräftiger Westwind den politischen Mief von ihren Boudoirs und Herrenzimmern fernhält.

CDU und Wirtschaftsliberale bringt diese Eigenart der Reichen und Mächtigen, die diese beiden Parteien eigentlich als ihre ureigenste Klientel reklamieren, noch heute zur rasenden Verzweiflung. Weil die Elbchaussee sich nur für Macht, nicht aber für Mittelschichtclubs mit Verlierertouch interessiert, wie CDU und FDP es an der Elbe eben sind, besteht für Christdemokraten und Liberale nur wenig Hoffnung, das Parlament jemals von der Regierungsbank aus in Augenschein zu nehmen.

Die Sozialdemokratie dagegen frohlockt. Der weltkriegserfahrene Offizier, Weltökonom und Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt buchstabiert den Machtdeal zwischen Elbchaussee und Kurt- Schumacher-Allee — dem Sitz der SPD-Zentrale — als das historische „Bündnis zwischen Kaufmannschaft und Arbeiterklasse“. Schön ist, wenn man dabei seinen Platz kennt. Schmidt haust bieder bei Frikadellen und Kartoffeln in Langenhorn. Als politische Heimat hat er sich das fernöstliche Bergedorf erkoren. Auch ein Weltökonom stört die Kreise der verschlossenen Herrschaftsaustern à la Sylt Royal im Hamburger Westen nicht.

Doch so weit sind wir mit dem Finger auf dem Stadtplan noch nicht. Jetzt verweilt er lustvoll mitten im Zentrum Hamburgs, auf dem Quadrat zwischen Altem Wall und Großer Johannisstraße. Der Gebäudekomplex sieht von vorne wie ein wilhelminischer Hochbunker aus, von hinten wie ein klassizistischer Edelschuppen. Oder umgekehrt: Die prächtige Hälfte des Hamburger Zentrums beherbergt Handelskammer und Börse, blickt stolz nach Westen, Richtung Elbchaussee und Weltmeer. Der politische After, das Rathaus, gähnt Richtung Osten, wo die triste Kurt-Schumacher-Allee den sozialdemokratischen Weg aller Dinge weist: Gewerkschaftshaus, Volksfürsorge, Arbeitsamt, SPD- Baracke, einst die Coop und dann sogar noch das Polizeihochhaus. Das alles ist ein in Stein und Stadtstruktur gemeißeltes politisches Selbstbekenntnis.

Mit echt patriarchalischer Aufmerksamkeit haben Hamburgs Herren ihrer politischen Dienerschaft eine kuschelige Anlaufstelle spendiert, mit kurzen, wegen der Unbilden des Wetters überdachten Wegen und einer ordentlichen Kneipe gleich dazu, dem Ratsweinkeller. Nicht daß die Herren sich wirklich selbst bemühten: Auch in Handelskammer und Börse tummeln sich ja zuvörderst Angestellte, brave Kapitalfunktionäre und fleißige Finanzvermehrer.

Der Weg zum Gewerkschaftshaus hinterm Hauptbahnhof ist da schon ganz anders: Die Filzmatten liegen nur metaphorisch, die Distanz sorgt für Klarheit. Klagen über zu enge Verbindungen zwischen Gewerkschaft und SPD-Senat hat es in Hamburg nie gegeben. Wozu auch: Der Filz zwischen SPD und Gewerkschaften, in den Bauten der Kurt-Schumacher-Allee schön anzuschaun, ist ja gewollt, wenn er so funktioniert wie in Hamburg! Man hält sich einfach an den Weg des Westwinds: Die Elbchaussee befiehlt, die Kammer horcht auf die Elbchaussee, das Rathaus auf die Kammer, die Kurt-Schumacher-Allee auf das Rathaus, die Arbeiterwüsteneien in Barmbek, Billbrook und auf der Veddel auf die Kurt-Schumacher-Allee.

Dieses aufgeräumte System ist kennzeichnend für Hamburgs Stadtstruktur: Kaum eine andere deutsche Stadt hat ihre verschiedenen Viertel so säuberlich und funktional getrennt. Bleibt genügend Zeit, kann der Machtunterricht per Stadtplan weiter differenziert werden: Zu erwähnen wäre da beispielsweise die kleine Herrschaftsachse entlang der Alster, Harvestehude, Uhlenhorst. Ist es ein Zufall, daß Hamburgs bislang einziger SPD-Bürgermeister, der sich dem SPD-Stallgeruch bis zuletzt angewidert widersetzte, die Traute hatte, hier zu wohnen: Klaus von(!) Dohnanyi?!

Richtung Norden dann das Reihen- und Einzelhausmeer der gehobenen Mittelschicht im Alstertal und in den Walddörfern. Hier findet sich zwar brave CDU- und FDP-Klientel, aber eben doch nur Mittelschicht, Mitmacher der gehobenen Art, aber nicht die echte Hamburger Herrenrasse. Dann jene absonderliche preußische Landstadt Wandsbek im Nordosten, Heimat fast aller SPD-Polizeisenatoren. Kein Wunder, daß diese Mischung aus Preußen, SPD, Angestelltenmief und distanzierte Nähe zu den echten Arbeitervierteln das heimliche Machtzentrum der Hamburger SPD wurde, während Harburg, Wilhelmsburg, St.Pauli und Altona lediglich für hanseatische Folklore und Sozialromantik stehen.

Bevor der Finger endgültig ins Kreiseln gerät, sollte man ihn noch ein Stückchen Richtung Osten streifen lassen: Viel näher als bis Friedrichsruh ließen Hamburgs Herren den Landjunker Bismarck nicht heran. Preußische Imperialisten und Emporkömmlinge wie der Bergedorfer Maschinenfabrikant Kurt Körber, der gutwillig Kunst und Oper sponserte, um an der Elbchaussee Anerkennung zu finden, blieben in den Osten verbannt.

Damit ist auch das Geheimnis Bergedorfs gelüftet: Hier leben und politisieren die preußischen Sozis, die was Besseres sein wollen als die Polizisten und Notare aus Wandsbek. Ähnlichkeiten freilich sind erwünscht: Kasernen en masse prägen beide Ex-Landstädte. Und damit endet das Hamburger Macht-Einmaleins: Auch Soldaten, Geschenk der Preußen, der Nazis und der Nato an Hamburg, spielen in den echten Hamburger Führungsetagen eine untergeordnete Rolle. CDU-Major Hartmut Perschau mußte in den neuen Osten flüchten, um endlich einmal Minister werden zu können. Florian Marten