Neulich...

■ ...in Meppen

Neulich...

... in Meppen

Neulich war das unbedingte Bedürfnis wieder da: Wir drei, Wölle, Ulli und ich, wie in jedem Jahr über Midlife Crisis reden, wieder Bier trinken. Stark rauchen. Pute in Weißwein. Warum nicht in Meppen?

Meppen hat auffällig große viereckige Häuser. Wer nicht weiß, wo Meppen liegt, muß Zonenrand vermuten, durch irgendeinen Trick ist es den Meppenern gelungen, sich die Zonenrandförderung zu erschleichen. Schon früher machten sich Männer wie wir auf, Meppen zu besuchen. Alle, die zurückkehrten, wußten zu berichten, daß Meppen nicht am Zonenrand liegt, sondern an der Ems. Also eher am Niederlandrand.

Vielleicht ist es typisch für Meppen-Exkursionen, daß ihre Mitglieder Männer im gefährlichen Alter sind. Es war eine jener lauen Nächte, die auf nicht enden wollende Frosttage folgen. Man denkt an Frühling. Natürlich herrschte bei unserer Ankunft in Meppen Glatteis.

Meppen verschließt sich dem Ankommenden wie eine Miesmuschel. Oben heraus schaut der Dom, katholisch wie alles hier. Eine papistische Enklave, vor der sogar die Reformation zurückschreckte.

Frau Vielfleisch, unsere Wirtin, hat riesige warme Hände und geht am Sonntagmorgen um acht zur Messe. Wie alle Meppener hat sie einen hüpfenden Schritt, der vom häufigen Springen über Maulwurfhügel stammt. Keine deutsche Kleinstadt hat mit einer höheren Dichte an Maulwurfhügeln zu kämpfen. Keine.

Als Nichtmeppener werden wir überall sofort erkannt und von den Meppenern ununterbrochen mit großem Staunen beobachtet. Die Verschiedenartigkeit fällt uns nicht ins Auge, sie erschließt sich erst beim genauen Hinsehen. Z.B. wenn wir lachen, erstarrt jede Unterhaltung: Meppen ist das Mekka der Zahnmedizin. Selbst junge Meppener haben kaum mehr einen echten Zahn im Mund. Die Brücken und Prothesen sind kleine abstrakte Kunstwerke, die die Eitelkeiten der Welt konterkarieren.

Im modernen Altstadtcafe (Meppen hat keine Altstadt, im Krieg wurde alles zerstört, ohne daß sich im Stadtarchiv ein Wort des Bedauern über diese Tatsache fände): Wir fragen einen, der andauernd mit der Schulter zuckt, ob er Meppener sei. Wir bekommen keine Antwort. Am Abend klärt uns die Wirtin bei gebackener Flugente auf: Der Meppener heißt, analog etwa zum Sprachgebrauch in Bremen, „Mepper“; das Adjektiv ist „meppisch“.

Auffällig sind die Ticks der Mepper — die einen rucken mit ihren Köpfen immerfort nach links, nach rechts; andere scheinen — namentlich in Kaffeehäusern — beim Essen die Nahrung „pickend“ aufzunehmen. Dritte wieder fallen sofort zu Boden, kommt ihnen ein Nicht-Mepper zu Gesicht.

Mepper Kleinkinder beeindrucken durch ihr wissendes Äußeres. Sie wecken trügerische Hoffnungen, mit zunehmendem Alter scheint der Mepper alles vorhandene Wissen abzulegen, um sich ganz auf seine Lieblingsbeschäftigung verlegen zu können — das Jagen. Die meppischen Wiesen wirken wie eine Wildtier-Farm, so dicht ist der Besatz mit Kanin, Fasan und Maulwurf. Die meppische Küche kennt Rezepte im Zusammenhang mit Maulwürfen.

Wir stapfen die Ems entlang, die naturnah in ihrem Bett mäandert. Sturm, Regen, nicht untypisch für Meppen. Wir springen über Maulwurfhügel. Eine mit Metallgitterzaun gesicherte Geflügelfarm kommt in Sicht. Die Geflügelzucht ist die ökonomische Grundlage Meppens. Ein Schuß fällt.

Einen Steinwurf entfernt von Meppen liegt das Atomkraftwerk Lingen. Doch was außerhalb der Stadtgrenze liegt, interessiert den Mepper nicht. Übrigens auch nicht, was innerhalb Meppens passiert. Der Lokalteil der „Mepper Tagespost“ ist dramatisch kurz und berichtet gern von alten Zeiten. Vor acht Jahren drohte ein Verrückter damit, Meppen mit einer selbstgebastelten Atombombe in die Luft zu sprengen, um eine halbstündige Audienz bei Bundespräsidenten zu erzwingen. Damals lachte die ganze Republik. Am lautesten lachten die Mepper — den Untergang Meppens empfindet der Mepper nicht als Bedrohung.

Beim Abschied empfinden Wölle und Ulli genau wie ich: Wir wissen nicht, ob viel Zeit vergangen ist oder keine. Eins ist sicher: Wir sind in diesen Mepper Tagen wieder ein Stück mehr Mann geworden. Burkhard Straßmann