Mit dem Ziel der Selbstauflösung

Die Berlinische Galerie wird den Martin-Gropius-Bau verlassen. Der expansive „e.V.“ will sich auflösen – die Gründung eines Landesmuseums steht an. Für den Gropius-Bau gibt es gigantische Pläne  ■ Von Ulrich Clewing

Der Berliner Museumslandschaft stehen Veränderungen in nicht dagewesenem Ausmaß bevor. 17 Sammlungen sind allein von der Neuordnung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz betroffen. Dazu kommen Neu- und Umbauten: Jüdisches Museum, Gemäldegalerie, Zeughaus, Neues Museum, Hamburger Bahnhof. Als potentielle Abgänge zu befürchten: die in letzter Zeit wegen ihres Lobbyismus stark umstrittene Staatliche Kunsthalle, der die Miete an der Budapester Straße zu teuer wird, und das Haus der Kulturen der Welt – in der ehemaligen Kongreßhalle nistet sich ab 1994, „vorübergehend“, so der Senator für Stadtentwicklung und Umwelt Volker Hassemer, das Besucherzentrum des Bundestages ein.

Auch im Fall der Berlinischen Galerie bewegt sich was. Nach Plänen von Kultursenator Ulrich Roloff-Momin soll die Institution aus dem Martin-Gropius-Bau ausziehen und ein eigenes Haus erhalten. Als neues Domizil ist das ehemalige Postfuhramt in der Oranienburger/Ecke Tucholskystraße im Gespräch, ein repräsentatives, denkmalgeschütztes Gebäude aus den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Der Standort wäre ideal: nur fünf Minuten von der Museumsinsel entfernt. Koalitionspartner CDU unterstützt das Vorhaben: „Für Gutes muß auch gutes Geld dasein“, ließ der Fraktionsvorsitzende Klaus-Rüdiger Landowsky vernehmen. Mit der Eigentümerin, der Bundespostdirektion in Bonn, wird derzeit über einen Grundstückstausch verhandelt.

Die Chancen, in den nächsten Monaten eine Einigung zu erzielen, stehen offenbar gut. Sollte es dem Senat gelingen, das von der Post gewünschte Areal im Norden Berlins bereitzustellen, stünde der Berlinischen Galerie ab 1995 eine Ausstellungsfläche von 7.800 Quadratmetern zur Verfügung, dreimal soviel wie bisher.

Der Verein nach 18 Jahren

Diese Vergrößerung ist bitter nötig. Die „Berlinische“ platzt aus allen Nähten. Fünf Abteilungen, Bildende Kunst, Architektur, Fotografie, Graphik und Archiv, konnten in den letzten Jahren mit Mitteln der Künstlerförderung des Senats und der Stiftung Deutsche Klassenlotterie kontinuierlich ausgebaut werden.

Längst ist der vor 18 Jahren von Eberhard Roters gegründete gemeinnützige Verein in die Rolle eines Stadtmuseums geschlüpft. Die fotografische Sammlung hat sich zu einer der bedeutendsten in Deutschland gemausert, an den Bereich Architektur gehen alle vom Senat bei öffentlichen Wettbewerben angekauften Modelle. Die Abteilung Bildende Kunst, Verwalterin von mittlerweile rund 40.000 Werken, besitzt ein einzigartiges Dada-Archiv, eine Anzahl hervorragender Arbeiten der „Kinetischen Konstruktivisten“ Naum Gabo und Ivan Puni sowie einige qualitativ hochstehende Gemälde der Maler der Neuen Sachlichkeit. Mit Informel, konkreter und neuer figurativer Malerei, den Anfängen der Jungen Wilden, Polit-Fluxus, Concept Art und Klanginstallationen der siebziger Jahre sind zwei Dekaden Berliner Kunst beispielhaft vertreten.

Mit dieser Entwicklung haben die räumlichen Verhältnisse im Martin-Gropius-Bau nicht annähernd Schritt gehalten. Die Präsentation im ersten Obergeschoß gleicht derzeit einem permanenten Kleidchen-wechsel-dich-Spiel. Hochkarätige und teuer bezahlte Kunst landet zwangsläufig im Depot. Stehen Ausstellungsprojekte an, wird es noch enger. Wenn Großveranstaltungen der Festspiele GmbH Platz in der ersten Etage beanspruchen, muß Jörn Merkert, Direktor der Berlinischen Galerie, nicht selten ganz abhängen lassen. Daher sei, so Merkert, ein Umzug „dringender als je zuvor“. Die augenblickliche Situation sei zu verwirrend, als daß die Aktivitäten der Galerie gebührend gewürdigt werden könnten. „Selbst regelmäßige Besucher finden immer nur Fragmente unseres Bestandes vor.“ Das soll sich im neuen Haus grundlegend ändern. Merkert: „Wir wollen die interdisziplinäre Ausrichtung der Sammlung in den Vordergrund rücken, beispielsweise neben Gemälden des späten 19. Jahrhunderts gleichzeitig die zeitgenössische Architektur und Fotografie zeigen.“ Querverbindungen zwischen den einzelnen Abteilungen würden dadurch nachvollziehbarer. Ebenso könnte man Wechselausstellungen flexibler mit dem eigenen Bestand ergänzen.

Nicht wie andere Metropolen

Am Programm der Berlinischen Galerie will Merkert freilich nichts ändern: „Die nobelste Aufgabe bleibt die Pflege des Andenkens durch die Nazis verfolgter Künstler aus Berlin.“ Werke von Felix Nussbaum oder Otto Freundlich stehen denn auch ganz oben auf der Wunschliste.

Trotz der öffentlichen Kritik, daß der Sammelbereich der Institution durch die Verpflichtung auf den Berlin-Bezug zu eng abgesteckt sei, soll dieser Bezug beibehalten werden, der in der Satzung des Vereins festgeschrieben ist – oder gewesen sein wird.

Danach muß Kunst, die von der Berlinischen Galerie beachtet werden möchte, in Berlin entstanden sein, beziehungsweise soll die Stadt zumindest eine gewichtige Rolle in der Biographie des betreffenden Künstlers gespielt haben. Manchen war dieses Konzept in der Vergangenheit Anlaß zu heftiger Kritik. Der Galerie wurde Provinzialität vorgeworfen, die fehlende internationale Perspektive als unzeitgemäß angeprangert. Wichtige Entwicklungen, die in den städtischen Museen anderer Metropolen zu sehen seien, blieben dem Berliner Publikum vorenthalten. Ob die Kritik nach dem Umzug verstummen wird, ist fraglich. Zumal die erfolgreich angelaufene „Korrespondenzen“- Reihe, die mittels Städtepartnerschaften versuchte, aus dem goldenen Käfig Berlin auszubrechen, gerade dem vereinsinternen Rotstift zum Opfer gefallen ist.

Von der Übersiedlung aber verspricht sich der Direktor noch eine weitere Verbesserung: „Das Ziel des Vereins Berlinische Galerie heißt Selbstauflösung.“ Wenn die Sammlung schon ein eigenes Domizil bekomme, wäre eine Umwandlung des Vereins in ein Landesmuseum sinnvoll. Die Vorteile liegen auf der Hand: ein eigener Ankaufsetat und eine der Stellung der wissenschaftlichen Mitarbeiter entsprechende Bezahlung. Jörn Merkert und seine Stellvertreterin Ursula Prinz sind Angestellte des Öffentlichen Dienstes, die restlichen Gehälter werden auch aus der Kasse des Senats gezahlt, aber über den Umweg des Vereins. Die Höhe der Gehälter entspricht nicht der des öffentlichen Dienstes.

Fusionen gefürchtet

Dabei gibt es bereits ein Landesmuseum, das sich der Berliner Stadtgeschichte einschließlich der bildenden Kunst annimmt: das jüngst mit dem Märkischen Museum vereinte Berlin-Museum. Gegen ein Zusammengehen grenzt sich Merkert allerdings entschieden ab. „Berlin-Museum und Märkisches Museum konzentrieren sich auf kulturhistorische Zusammenhänge und sammeln von Tischbestecken und Möbel über Briefe und Gemälde alles, wir beschäftigen uns ausschließlich mit bildender Kunst“, womit Merkert allerdings seine Ausführung zu interdisziplinären Ausstellungen wieder zurücknimmt. Ebenso abgelehnt wird die immer wieder diskutierte Verschmelzung der Berlinischen Galerie mit der Staatlichen Kunsthalle. In der Kulturverwaltung sträubt man sich gegen die Aufgabe eines bereits bestehenden Kunststandortes, so kritisierbar dieser sein mag. Großes hat der Senat nach dem Auszug der Berlinischen Galerie mit dem Martin- Gropius-Bau vor. Dort soll ein repräsentatives internationales Kunstzentrum entstehen und das hauptstädtische Berlin eine feste Adresse für Wechselausstellungen im Mammutformat erhalten. Daß sich das Gebäude eignet, Publikumsinteresse auf sich zu ziehen, wurde in der Vergangenheit hinreichend bewiesen.

Um das ehemalige Kunstgewerbemuseum in Zukunft zu bespielen, wird das sogenannte Intendantenmodell favorisiert: Die Kulturverwaltung gründet eine mit der Festspiele GmbH vergleichbare, senatseigene Trägergesellschaft. Deren Leitung übernimmt ein Ausstellungsmacher mit internationalem Profil, der durch seine Kontakte öffentlichkeitswirksame Projekte wie die legendäre „Zeitgeist“-Schau oder „Metropolis“ ermöglicht. Womit indirekt schon ein Kandidat genannt ist: Christos Joachimides, mit seinem Partner Norman Rosenthal Organisator der beiden erwähnten Orientierungshilfen in Sachen zukünftiges Programm.

Von einer Vorentscheidung bei der Vergabe dieses Postens will man im Senat jedoch nichts wissen. Zu gegebener Zeit, orakelte es aus dem Europacenter, werde eine ordentliche Ausschreibung erfolgen.

Den Erwählten erwarten anspruchsvolle Aufgaben, speziell in finanzieller Hinsicht. Rechnet man pro Ausstellung mit einem Kostenaufwand in der Größenordnung von fünf Millionen Mark, wie sie für „Metropolis“ anfielen, ergibt sich bei Dauerbetrieb eine Summe von 25 Millionen im Jahr. Diese Belastungen verringern sich, wenn ein fester Stamm von Mitarbeitern die Produktionskosten drückt. Durch Ausstellungsübernahmen erhofft man sich in der Kulturverwaltung, sogar hin und wieder bescheidenen Profit zu erzielen. Außerdem: Vergleicht man diese Summe mit den 20 Millionen, die die vergangenen Sommer mit viel Getöse eingeweihte Bundeskunsthalle in Bonn in zwölf Monaten verschlingt, so relativiert sich der auf den ersten Blick enorme Betrag. Sehr viel teurer als der Friedrichstadtpalast wäre das internationale Ausstellungszentrum in spe ohnehin nicht.

Auch die Gefahr, daß wegen des hohen Finanzbedarfs kleine Projekte in Zukunft vernachlässigt werden, bestehe nicht, ließ Roloff- Momin auf Anfrage ausrichten. Einsparungen im Bereich dezentrale Kulturarbeit kämen nicht in Frage. Große Worte für einen Senator, dessen Haushalt 1993 Einsparungen von 20 Millionen Mark zu verkraften hat.

Wie das hochkarätige Programm technisch gelingen soll, steht derweil in den Sternen. „Metropolis“ benötigte eine Vorbereitungszeit von zwei Jahren. Bleibt man bei der Kalkulation von fünf Ausstellungen im Jahr, so müßten, um den Martin-Gropius-Bau ganzjährig zu füllen, zehn verschiedene Teams von Ausstellungsmachern beschäftigt werden. Ganz abgesehen davon, dürfte es schwer sein, überhaupt machbare Themen zu finden.

Konservatorische Vorbehalte haben die Bereitschaft von Museumsleitern, Leihgaben in alle Welt zu versenden, deutlich zurückgehen lassen. Statt dessen schicken die Galeristen ihre Stücke auf Reisen – aus naheliegenden Gründen. Jede Ausstellungsteilnahme ist für den Künstler und seinen Vertreter bare Münze wert.

Damit der Martin-Gropius-Bau nicht zu einem gigantischen Durchlauferhitzer des Kunstmarktes wird, steht noch einiges Nachdenken an.