In gewisser Weise pervers

Alexander Balanescu über Computer, Streichquartette und den „wall of sound“ bei Kraftwerk  ■ Ein Interview von Harald Fricke

Streichquartett goes Techno: Der Exilrumäne Alexander Balanescu und sein Quartett haben eine Platte mit Kraftwerk-Stücken aufgenommen (siehe auch Kasten). Hommage an (moderne) Klassiker oder die Fortsetzung von Klassik-Rock mit anderen Mitteln? Oder ist es „Verfremdung“? Unser Autor traf Balanescu auf der Durchreise.

taz: Wie kam es zu der Idee für diese Adaption?

Alexander Balanescu: Nach meiner Ausbildung am Konservatorium habe ich mich zunächst noch aus kompositorischen Gründen für Neue Musik interessiert, aber fast jedes Streichensemble spielte die gleichen Stücke in derselben Art. Ich war damit sehr unglücklich, weil ich fand, daß die Musik dem Publikum nichts mehr zu sagen hatte: Ligeti, Xennakis, Leo Carter. Komponisten, deren Musik ich zum größten Teil schätze, besonders Ligeti. Aber das Gros ist lediglich an andere Komponisten und Kritiker gerichtet. Die Idee für das Balanescu- Quartett war Neue Musik zu spielen, die wirklich mit den Menschen kommuniziert. Von daher haben wir dann in der Hauptsache mit Michael Nyman und Gavin Bryars, aber auch Pop- und Jazzmusikern gearbeitet. Die Musik veränderte sich dabei viel mehr als bei konventionellen Komponisten. Wir haben mit John Lurie ein Stück für Saxophon und Quartett gespielt, ohne daß Lurie irgendwelche Noten niedergeschrieben hätte. Er brachte nur Ideen, die er mit Gitarre und Taperecorder aufgenommen hatte. Den Rest wählten und arrangierten wir gemeinsam. Es war echte Zusammenarbeit. Vielleicht weil wir mehr wie eine Rockband an die Sache herangegangen sind, wobei Neue Musik nur einen Bereich unter vielen darstellt.

Diese Art von Crossover erinnert ein bißchen an Zappa, der mit dem Ensemble Modern allerdings nicht in die Rockhalle hinab-, sondern in die Philharmonie emporgestiegen ist. Wo fühlt sich das Balanescu-Quartett heimisch?

Zunächst einmal wollen wir mit den Kraftwerk-Songs natürlich unbedingt touren, aber es gehört eine visuelle Umsetzung dazu, die nicht im herkömmlichen Sinne an Klassikkonzerte anknüpft und über die wir uns noch nicht klar sind. Es soll eine Show und kein straightes Konzert werden, auch wenn wir immer noch an traditionellen Aufführungsorten spielen. Aber selbst Stätten wie die Queen Elizabeth Hall in London öffnen sich gegenüber anderen Kontexten, sei es Ballett, Film oder Theater. Statt spezialisierter Veranstaltungen wissen die Leute mittlerweile, daß hier etwas passiert. Noch lieber wären uns allerdings Clubs. Bisher haben wir es ein paar Mal versucht, nicht ohne Erfolg. Als Keith Tippett (ein Londoner Jazzpianist) in Bristol den „Rare Music Club“ aufgemacht hat, durften wir zur Eröffnung spielen. Zwischen DJs, HipHop- und Jazz-Acts haben wir mit unserem Quartett auf der Bühne gestanden, und dem Publikum hat die Interaktion unter den Bands sehr gut gefallen.

Da überschneiden sich die Anknüpfungsmöglichkeiten mit dem Dancefloor-Sektor. Gerade die amerikanische und auch Teile der europäischen Techno-Szene verehren Kraftwerk nach wie vor. Nimmt sich nun auch die Klassik der Elektronik an?

Ich habe ihr Werk nicht nur im Zusammenhang mit Popmusik gesehen, sondern als Neue Musik vor allem wegen dieses außergewöhnlichen „wall of sound“, den sie geschaffen haben. Es war in gewisser Weise pervers, diese Formen auf ein Streichquartett zu übertragen, für eine Ensemblekonstellation, die sich seit Haydn nicht verändert hat, während Kraftwerk selbst Ende der achtziger Jahre gesagt haben, daß die Zeit der akustischen Instrumente endgültig vorbei sei und die Zukunft in der Elektronik liege. Deshalb ist in mir der Wunsch gewachsen, das Gegenteil zu beweisen. Ich wußte von Anfang an, daß sich die Musik hervorragend übersetzen läßt, gerade weil starke Ähnlichkeiten zwischen Streichquartett und den Klängen von Kraftwerk bestehen. Auch bei Streichern gibt es diese mechanistische Qualität, bei der einzelne Teile zwar unabhängig funktionieren, aber im Gesamtbild ein Ganzes erzeugen. Darin wiederum ist die Musik von Kraftwerk ungeheuer transparent und einfach.

Der „wall of sound“ löst sich in der Bearbeitung des Streichquartetts allerdings auf, einzelne Stimmen treten plötzlich anders als bei der elektronischen Fassung in den Vordergrund. Wie kam dieser Wandel zustande?

Man erhält nun beim Zuhören den Eindruck, hinter der Undurchdringlichkeit des synthetischen Klangs auf die Komposition blicken zu können. Wir wollten bestimmte lyrische Qualitäten der Musik hervorholen, die rhythmische Härte ebenfalls. Plötzlich sieht man einen Gegenstand in einem ganz anderen Licht. In erster Linie haben wir uns jedoch darum bemüht, den spirit der Musik zu bewahren. Denn was mich am meisten am Werk von Kraftwerk angezogen hat, war, daß es sich dabei nicht bloß um Abstraktion handelt, sondern daß sie Kommentare über das tägliche Leben abgeben, mit einer Menge Humor, Sarkasmus, Traurigkeit und allem eben. Darum haben wir nicht unsere Spielweise als selbstverständlich vorausgesetzt, indem wir etwa eine schöne Grundstimmung mit wunderbarem Vibrato und reicher Klangbreite gewählt hätten. Wir sind diszipliniert geblieben, mehr wie Barockmusiker, die ein Vibrato nur dann benutzen, wenn es der Ausdruck verlangt. Ansonsten aber very close to the brige. Das hat sich auf die gesamte Platte ausgewirkt, schon während der Aufnahmen. Die Kraftwerk-Nummern wurden wie Popsongs im Overdub- Verfahren eingespielt, erst der Rhythmus, dann die Melodie, zum Schluß wurde alles zusammengemischt. Meine eigenen Kompositionen haben wir dann in zwei Parts, das komplette Quartett und zusätzliche Rhythmusspuren, gesplittet, der Byrne-Song ist als der am meisten symphonische in einer Kirche aufgenommen worden.

Benutzen Sie eigentlich selber auch Synthesizer beim Komponieren?

Nein, ich schreibe am Klavier und bevorzuge es auch weiterhin gegenüber anderen Keyboards. Ich kann die Harmonien nicht so gut hören, wenn sie elektrisch gespielt werden. Aber ich will trotzdem versuchen, auch am Computer zu arbeiten. Noch bin ich blockiert bei der Vorstellung, da spukt die Idee in meinem Hinterkopf herum, daß mir das Programm die Komposition diktiert. Gut, die Software ist nicht sehr kreativ, den Wechsel von Geschwindigkeiten verarbeitet sie kaum. Die Brüche zwischen verschiedenen Stimmungen verschwinden. Dadurch sind spontane Kompositionen oder Improvisationen nicht mehr möglich. Trotzdem hasse ich den Widerstand gegen Computer aus einem anderen Grund: elektronische Musik ist viel tiefer in klassischen Strukturen verwurzelt, als ihre Gegner vermuten.

Das entspricht Ihrem Verlangen nach einer relativ puristischen Besetzung, während die Masse der E-Musik-Komponisten allerhand obskures Instrumentarium verwenden.

Ein Streichquartett ist unvorstellbar flexibel. Es ist die kleinste Formation, mit der man symphonische Klänge spielen kann. Ob Haydn, Beethoven oder Bartok – alles Revolutionäre wurde für Streichquartett geschrieben. Um über den gängigen Minimalismus hinauszukommen, muß man jedoch auf bürgerliche Konventionen verzichten können und beispielsweise die ethnischen Ursprünge wieder stärker integrieren. Für meine Idee von experimenteller Musik bedeutet das, auch die Einflüsse meiner rumänischen Herkunft zu erarbeiten. Es ist ja nicht allein die Folklore, im Geigenspiel kommmt die menschliche Stimme wieder zum Vorschein. Bei mir klingt sie, als hätte jemand vorher viele Zigaretten geraucht. Nicht bloß schön.