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Zwischen den RillenTechno pizzicato

■ Kraftwerk gestrichen, gesägt und gezupft: The Balanescu Quartet

Wenn E- und U-Musik, Klassik und Pop/Rock eine wie auch immer geartete Liaison eingehen, kommt es nicht selten zu schauerlichen Ausgeburten – egal, ob sich nun Rockmusiker zu Höherem berufen fühlen und plötzlich ihr angestammtes Terrain verlassen oder „Klassiker“ sich in die Niederungen des Pop begeben. Eine Blutspur zieht sich durch die Geschichte der Rockmusik. Klassische Kompositionen – hingemetzelt auf den Altären der Ambitionen mittelmäßiger Rockmusiker; für Orchester geschriebene Werke – gemeuchelt von Legionen „kreativer“ Elektroniker und Synthesizerwerker; grauenerregende Vereinigungen von Rockbands mit Symphonieorchestern von Jon Lord (Deep Purple) über Rick Wakeman bis hin zu den Drei von Emerson, Lake & Palmer.

Nacktes Entsetzen bereiten Jugenderinnerungen an die – glücklicherweise vergessenen – Ekseption, deren Bach- und Tschaikowsky-Bearbeitungen uns wohlmeinende, fortschrittliche 60er-Lehrer in den Siebzigern nahezubringen versuchten – alles in der Hoffnung, der Nachwuchs, dessen Interesse damals eher T. Rex, Sweet und den anderen Glamrock-Bands galt, könne so, quasi „spielerisch“ zum Wahren, Guten und Schönen hingeführt werden.

Wenn sich nun ein klassisches Streichquartett wie das Balanescu Quartet – bislang durch seine Mitarbeit im Orchester von Michael Nyman bekannt (dem Hauskomponisten des englischen Filmemachers Peter Greenaway) – daran macht, einen Song von David Byrne sowie gleich fünf Stücke der deutschen Techno-Pioniere Kraftwerk aufzunehmen, dann..., ja dann mag sich das auf dem Papier zuerst einmal anhören, als wolle man sich nahtlos in diese unglückselige Kette einreihen.

Dem ist aber zum Glück nicht so, wie die CD „Possessed“ beweist. Darauf befinden sich – neben den erwähnten Coverversionen – auch drei eigene Stücke von Alexander Balanescu.

Der gebürtige Rumäne, der mit seiner Violine im Knabenalter als „Wunderkind“ galt, im Exil in New York jedoch bald von der Klassik weg und hin zum Jazz und frei improvisierter Musik kam, hat Gespür für die Popqualitäten des Materials. Die Kraftwerk-Stücke jedenfalls behalten auch nach der Transskription vom elektronischen Instrumentarium auf zwei Violinen, Viola und Cello ihren minimalistischen Charakter bei, ihren Charme. Dabei klingen die Bearbeitungen weit weniger prätentiös als zum Beispiel die Rock-Adaptionen des bekannteren Kronos Quartets (etwa Jimi Hendrixens „Purple Haze“).

Gestrichen, gesägt und gezupft bekommen „Das Model“, „Robots“ oder „Pocket Calculator“ (letzteres auch mit Gesang) eine eigene, „kammermusikalische“ Klangfarbe, ohne den Charme der Originale zu verlieren. „Computer love“ klingt vielleicht durch die Violine noch süßlicher, noch romantischer als das Original. Die Umsetzung von „Autobahn“, der Kraftwerk-Hymne, ist schlichtweg großartig – und der Version des Gitarrenexperimentierers Gary Lucas ebenbürtig (er spielte das Stück vor zwei Jahren auf seiner vorletzten LP und bringt es auch bei seinen Livekonzerten mit Gitarre und einigen Effekten).

Beim David Byrne-Stück handelt es sich übrigens um „Hanging upside down“ von der jüngsten LP des einstigen Talking Heads. Die eigenen Stücke von Alexander Balanescu sollten Freunden neuer Musik gefallen – wobei Ähnlichkeiten zu den Komposionen seines Freundes Michal Nyman wohl nicht von ungefähr vorhanden sind. Thomas Bohnet

The Balanescu Quartet: „Possessed“. (Mute/Intercord).

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