Italien nimmt Kriminalisierung von Junkies zurück

■ In dreijähriger Praxis hatte das Gesetz zum Gegenteil des Erhofften geführt

Rom (taz) – Daß das Gesetz sich mit Sicherheit ins Gegenteil des Erwünschten verkehren würde, hatten nahezu alle Fachleute schon vor vier Jahren gesagt, als der damalige sozialistische Justizminister Giuliano Vassalli auf Druck seines (den US-Scharfmachern zugehörigen) Parteichefs Bettino Craxi das verschärfte Antidrogengesetz durchpaukte. Nun haben es auch die Regierenden selbst eingesehen: statt eine Abnahme der Süchtigen hat es weitere Zunahmen gegeben, und statt der erhofften Säuberungswirkung hat Italien nun ein paar Zehntausend Kriminalisierte mehr. Die gestufte Androhung – beim ersten Erwischtwerden mit mehr als der statistisch festgelegten „Tagesdosis“ administrative Strafen wie Führerschein- oder Paßentzug, bei Wiederholung Knast – hat niemanden abgehalten, aber viele noch weiter abstürzen lassen.

Und so hat die Regierung Amato in einem Gewaltakt am Dienstag abend die Rücknahme der Kriminalisierung beschlossen. Nun darf der Abhängige zumindest die dreifache Tagesdosis bei sich führen, erst dann wird er als „Kleinhändler“ betrachtet und nach dem Dealer-Gesetz eingelocht.

Zufrieden zeigen sich nun plötzlich auch nahezu alle anderen Parteien. So sagt die christdemokratische Parteipräsidentin und derzeitige Erziehungsministerin Russo Jervolino, die seinerzeit als Sozialministerin zu den MitautorInnen des Gesetzes gehörte: „Ich bin froh, daß die Kriminalisierung weg ist.“ Die oppositionelle Demokratische Partei der Linken (PDS) ist sowieso schon seit gut zwei Jahren auf Liberalisierungskurs: Sie plädiert für die vorbehaltlose Legalisierung von leichten Drogen wie Marihuana und Haschisch und die kontrollierte ärztliche Abgabe von harten oder Ersatz-Drogen durch staatliche Ärzte. Die eigens zur Abschaffung der Drogengesetze gegründete Anti-Prohibitionisten- Partei hält die Maßnahme der Regierung für „einen Schritt in die richtige Richtung“, allerdings einen „zu kleinen“: „In der Praxis“, so Vorsitzender Marco Tarradash, „wird die Überzahl der Süchtigen noch immer zur Selbstkriminalisierung gezwungen. So etwa, wenn ein armer Teufel einmal eine günstige Marktlage ausnutzen und sich für eine Woche eindecken will – das darf er nicht. So ist er wenige Tage danach wieder gezwungen, mehr Geld für den inzwischen wieder teureren Stoff aufzubringen, und das heißt oft genug, zu stehlen.“ In der Regierung betonen die Fachleute, daß die – mit Hilfe eines Dekretes sofort in Kraft gesetzte, innerhalb von drei Monaten jedoch durchs Parlament ratifizierungsbedürftige – Maßnahme „vielleicht wirklich nur ein erster Schritt“ ist, der weitere Liberalisierungen nach sich zieht. Zumal die Antimafia-Kommission des parlaments derzeit von einem entschiedenen Liberalisierungs-Befürworter, dem ehemaligen Staatsanwalt Luciano Violante (PDS), geleitet wird und sich eine weitgehende Austrocknung organisiert-kriminellen Terrains von der kontrollierten Freigabe erhofft. Werner Raith