Kinkel macht Golfkrieg schmackhaft

Der Außenminister beschwört die SPD, Einsätze der Bundeswehr außerhalb der Nato mitzutragen/ Streit um Einsatz von AWACS-Flugzeugen geht weiter  ■ Aus Bonn Hans-Martin Tillack

Am liebsten würde er wohl überall gleichzeitig sein, der Außenminister, designierte Vizekanzler und mutmaßliche künftige FDP-Vorsitzende. Bisher beherrscht Klaus Kinkel dieses Kunststück noch nicht. Weil er am Mittwoch nachmittag zur Unterzeichnung des Chemiewaffen-Abkommens nach Paris eilen mußte, holte der FDP-Politiker gestern das nach, was der Außenminister am Mittwoch nicht mehr geschafft hatte. Auf einer eilig einberufenen Pressekonferenz erläuterte Kinkel den Koalitionskompromiß über künftige Bundeswehreinsätze aus seiner Sicht.

Der arme Mann, das ließ er sich anmerken, steht schwer unter Druck. Kinkel, der Außenminister, mußte sich über eine Lösung freuen, die Deutschland in der Außenpolitik „handlungsfähig werden läßt“. Kinkel, der FDP-Chef in spe, mußte den Eindruck wettmachen, die FDP sei umgefallen. Kinkel, der Mann unter Druck, beschwor die SPD, doch bitte rasch mit der Koalition zu verhandeln und eine Grundgesetzänderung möglich zu machen.

Es gebe durchaus Verhandlungsspielraum, versicherte er. Über die Mehrheiten, mit denen der Bundestag einer Entsendung von Soldaten zustimmen müsse, lasse er mit sich reden, das sei „kein Problem“. Zwar erlaube der Koalitionskompromiß durchaus auch eine deutsche Beteiligung an Militäraktionen wie dem „Irak-Kuwait-Einsatz“ – so Kinkels vornehme Umschreibung des Golfkriegs. Aber, so fragte er, gebe es nicht sowieso schon die „Tendenz“ in der SPD, Kampfeinsätzen doch zuzustimmen?

Die Hauptkritik der SPD mochte Kinkel am allerwenigsten verstehen. Eine Beteiligung an militärischen „Nothilfe“-Einsätzen zugunsten eines angegriffenen Landes sei etwas völlig Normales, handele es sich hier doch um „ein Naturrecht“, das älter sei als die UN-Charta. „Will die SPD tatsächlich das von der UNO garantierte Selbstverteidigungsrecht nicht anerkennen?“ fragte Kinkel – als wäre dieses Recht schon hinfällig, wenn Deutschland Militärinterventionen verweigert. Der Außenminister verstieg sich sogar zu der Auffassung, derartige Nothilfeeinsätze seien der Bundeswehr nach dem Grundgesetz heute schon erlaubt. Der Vorschlag der Koalition sei keine Erweiterung, sondern eine „Einschränkung der derzeit weltweit geltenden Rechtslage“.

Kinkel rückte damit gefährlich nahe an die CDU-Auffassung, nach der das Grundgesetz bereits heute alle Arten von UNO-Einsätzen erlaubt. Der FDP-Mann weiß selbst, daß die Sozialdemokraten zur Zeit wenig Neigungen zu Verhandlungen haben, weil sie ihrer Parteibasis nach der Asylrechtsänderung keine zweite Kröte zumuten wollen. Für Kinkel steht jedoch einiges auf dem Spiel, wenn es nicht rasch zu einer Verfassungsänderung kommt.

Nach wie vor ist zwischen Union und FDP umstritten, wie sich die Bundesregierung verhält, wenn beispielsweise der UN-Sicherheitsrat die Nato um Hilfe bei der Durchsetzung des Flugverbots über Bosnien-Herzegowina bittet. Die CDU beharrt darauf, daß die deutschen Besatzungsmitglieder der in Geilenkirchen bei Aachen stationierten 18 Nato-Aufklärungsflugzeuge vom Typ AWACS an Bord bleiben sollten, wenn diese Maschinen in Bosnien eingesetzt werden, um den Jagdflugzeugen der Nato zu helfen, serbische Flieger abzuschießen.

Kinkel und die FDP hatten dagegen bislang stets erklärt, ohne eine vorherige Verfassungsänderung müßten die deutschen Soldaten aussteigen – so wie sie auch heute schon von Bord gehen, wenn die AWACS-Aufklärer über Ungarn und Österreich unterwegs sind. Inzwischen hört sich Kinkel weniger entschlossen an. Ob eine Beteiligung deutscher Soldaten möglich wäre, sei noch „zu prüfen“, orakelte er gestern.

Es scheint, als beuge sich Kinkel dem Druck der Union – und das ohne wirkliche Not. Tatsächlich, das räumt man selbst im Verteidigungsministerium ein, könnte das Aachener AWACS-Geschwader durchaus auf die deutschen Besatzungsmitglieder verzichten. Zumindest „ein paar Tage“ lang seien die deutschen Crew-Mitglieder entbehrlich, heißt es im Haus von Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU). Sollten die Aufklärer länger unterwegs seien, könnte die Nato in den USA oder Großbritannien Ersatzleute für die Deutschen besorgen. Das sei durchaus möglich, räumt man ein. Aber, so fragen die Rühe-Mitarbeiter, müsse es denn unbedingt sein, daß man immer noch der Linie von Kinkels Vorgänger Hans- Dietrich Genscher folge? Diese Frage, so scheint es, stellt sich inzwischen auch Klaus Kinkel.