Racheschwüre zu Bushs Abschied

■ Saddam Hussein droht mit Vergeltungsschlägen/ Kurden fürchten irakischen Angriff im Norden

Berlin (taz) – Einen Tag nach dem Angriff der westlichen Alliierten des Golfkrieges auf militärische Stellungen im Südirak wurden gestern in Bagdad martialische Reden geschwungen. „Die ganze Welt wird sehen, wie wir uns rächen werden“, hieß es im irakischen Rundfunk. Die Führung in Bagdad habe eine neue Etappe der „Mutter aller Schlachten“ eingeleitet, die in einem „grandiosen Sieg“ enden werde, so der Sprecher, der damit ähnlich kriegerische Töne anschlug wie Staatschef Saddam Hussein am Abend zuvor. Entgegen der offiziellen Rhetorik herrschte in der irakischen Hauptstadt gestern Erleichterung über die Begrenztheit des Angriffes vor.

Der stellvertretende Ministerpräsident Tarik Asis mochte ebenfalls keine Abstriche machen und erklärte, der Irak werde „sicher“ auf den Angriff reagieren. Nähere Ausführungen machte er allerdings nicht. Gleichzeitig kündigte er an, daß Bagdad der UNO wieder Flüge in den Irak gestatten und die Vorstöße auf kuwaitisches Territorium einstellen werde. Die irakische Regierung halte an diesen beiden Entscheidungen fest, obwohl die Kampfflugzeuge der westlichen Alliierten die Zivilbevölkerung terrorisiert hätten.

Die UNO-Flüge, die Grenzverletzungen und die geforderte Räumung von sechs irakischen Polizeistationen sind jetzt die Testfälle, an denen sich entscheidet, ob es zu weiteren Angriffen kommt – falls Saddam Hussein seine Provokationen nicht an einem ganz anderen Punkt fortsetzt. Im autonom verwalteten Kurdistan im Norden des Landes wurden die Peschmerga vorsichtshalber in Alarmbereitschaft versetzt. Die kurdischen Organisationen befürchten, daß das irakische Regime sich für den Angriff mit Überfällen auf kurdisches Gebiet rächen könnte.

Die Kurden und der Irakische Nationalkongreß (INK), der Dachverband der Oppositionsgruppen, zählen neben den Golfstaaten und Israel zu den wenigen Befürwortern des Luftangriffes im Nahen Osten. In einer in London veröffentlichten Erklärung rief der INK die internationale Staatengemeinschaft auf, dem „irakischen Volk zu helfen, damit es sich von dem Tyrannen (Saddam Hussein, d.Red.) befreien“ kann. „Wir unterstützen jede Aktion, die uns von Saddam befreit“, stellte Ahmad Chalabi, der Sprecher des Exekutivausschusses des INK, klar.

Demgegenüber dominierte in den meisten arabischen Hauptstädten die Kritik am Vorgehen der westlichen Alliierten. Anders als vor zwei Jahren, als sich zahlreiche Staaten von Ägypten bis Syrien an der Anti-Irak-Allianz beteiligt hatten, wurde die jüngste Strafaktion allein von den USA, Großbritannien und Frankreich getragen. Im Mittelpunkt der Argumentation standen dabei Vorwürfe, der Westen praktiziere eine Politik der Doppelmoral: gegen den Irak werde mit Gewalt vorgegangen, während die UNO-Resolution 799 nicht durchgesetzt werde. In der Entschließung vom Dezember letzten Jahres wurde Israel aufgefordert, die Rückkehr der deportierten Palästinenser zu ermöglichen. Mit Nachdruck verurteilte auch die Palästinensische Befreiungsorganisation in Tunis, die sich im Golfkrieg auf die Seite Saddam Husseins geschlagen hatte, „die Aggression gegen den Bruder Irak“. Durch die unterschiedliche Behandlung der strittigen Fragen im Nahen Osten werde im Endeffekt Israel begünstigt.

Umgekehrt begrüßte die israelische Regierung die neuerliche Operation gegen den Irak. „Irak hat eine Lektion verdient“, sagte Außenminister Schimon Peres. Ministerpräsident Jitzhak Rabin teilte mit, Israel sei auf alles vorbereitet. Doch im Vergleich zum Golfkrieg sind die Hände Israels jetzt nicht gebunden. Diesmal gibt es keine arabische Koalition, auf die die Regierung in Jerusalem Rücksicht nehmen müßte. Saddam Hussein muß in Betracht ziehen, daß Israel jetzt viel mehr Freiheit hat, auf einen eventuellen irakischen Angriff mit eigenen Gegenschlägen zu reagieren. bs Seiten 3 und 10