„Feigheit vor dem Töten ist ein Ja zum Leben“

■ Ausstellung „Deserteure – Verräter oder Vorbilder“ im Haus der Demokratie/ Tabuisierung der Desertion als „Verrat und Feigheit“ soll durchbrochen werden

Der Termin paßte – und das war nicht einmal geplant – wie die Faust aufs Auge. Am Donnerstag, den 14. Januar, als die Zeitungen voll waren mit den Plänen der Bundesregierung, deutsche Soldaten in Zukunft wieder in alle Welt in den Krieg zu schicken, öffnete in Berlin-Mitte eine Ausstellung über „Deserteure – Verräter oder Vorbilder“ ihre Pforten. Den Befürwortern militärischen Denkens und anderen Jasagern hält die vom Neuen Forum und dem Verein Haus der Demokratie organisierte Ausstellung entgegen: „Sag Nein!“

Das Konzept der Ausstellung, die schon vor einigen Jahren von sechs Freiburger Friedensgruppen erstellt wurde und derzeit auf Deutschlandreise ist, orientiert sich an den Aussprüchen berühmter Neinsager. Da wird Heinrich Böll („Menschwerdung beginnt, wenn einer sich von der jeweiligen Truppe entfernt.“) ebenso zitiert wie Alfred Andersch („Die Desertion war mein ganz kleiner privater 20. Juli.“). Den großen Rahmen bildet das Gedicht „Sagt Nein“ von Wolfgang Borchert, auf den Stand des wiedervereinigten und wiederbewaffneten Deutschlands von 1993 gebracht: „Du, Mann an der Maschine...“ spricht von Rüstungskonversion, „Du, Besitzer der Fabrik...“ von Daimlers Rüstungsexporten, „Du, Richter im Talar...“ zeigt die ungebrochene Tradition von NS-Militärrichtern in der BRD. Aber auch Vorbilder von Neinsagern sind auf den Museumstafeln verewigt: der Arzt und Kriegsgegner im Ersten Weltkrieg Georg Friedrich Nicolai oder der Pater Franz Reinisch, der den Eid auf Hitler verweigerte und dafür hingerichtet wurde.

Kombiniert sind diese politischen Statements mit den Werken von Künstlern zum Thema „Deserteure“. Bilder und Plastiken, die allgemein oder spezifisch deutsch („Er geht – in schwarz-rot-gold“) zum Thema sprechen, wenn sich Menschen dem Militärsystem verweigern. Eine Gedenktafel für den unbekannten Kriegsflüchtling („Feigheit vor dem Töten oder Getötet werden ist ein Ja zum Leben“) erinnert an die bittere Diskussion über Denkmäler für Deserteure. Gemeinsam ist den ursprünglich 41 Werken, von denen aus Platzmangel nur einige gezeigt werden, die Tabuisierung der Desertion als „Verrat und Feigheit“ durchbrechen zu wollen, die auch der Historiker Norbert Haase bei der Ausstellungseröffnung beklagte. Historisch sei dieses Thema nicht aufgearbeitet, so Haase, der neben persönlichen Motiven die Dimension des politischen Widerstands von Deserteuren im Zweiten Weltkrieg betonte. 20.000 Deserteure wurden nach seinen Angaben von der Militärjustiz im Dritten Reich hingerichtet – und nach dem gleichen Rechtsverständnis wurde das Wehrrecht der Bundesrepublik verfaßt. Bernhard Pötter

„Deserteure – Verräter oder Vorbilder“, noch bis zum 29. Januar im Haus der Demokratie, Friedrichstraße 165, O-1080 Berlin, Mo.–Fr. 11–19, Sa. 10–14 Uhr