„Ich hasse Workshops“

■ Touch-Percussion-Festival mit Konzerten und Workshops im Podewil

Das Podewil in der Klosterstraße wird in den kommenden acht Tagen erneut zum Haus der jungen Talente, wie es unübertroffen hübsch im DDR-Kulturdeutsch hieß. „Touch“, vorn und hinten mit Ausrufezeichen: !Touch! also heißt ein Percussion- Festival mit sieben Schlagzeugern, die sich scheinbar langsam Sorgen um den Nachwuchs machen. Die Meister des freien und improvisierten Spiels – HiFi-Händler würden die sieben vielleicht als High-End der Low Fidality bezeichnen – werden an diesem Wochenende zunächst an zwei Tagen in wechselnden Besetzungen zeigen, was in ihnen steckt. Dann aber werden sie sich als Schlagzeug-Lehrer versuchen. Von Montag bis Freitag leiten sie Percussion-Workshops. Die Teilnahme ist im Prinzip für jeden Nicht-Schlagzeuger möglich, obwohl es sicherlich nicht schadet, wenigstens schon einmal auf einer Keksdose getrommelt zu haben. Interessierte, die sich noch nicht für einen bestimmten Lehrer entschieden haben, sollten am Sonntag um 17 Uhr ins Podewil kommen, wo die Musiker ihre Vorstellung näher erläutern werden.

Wer Schwierigkeiten hat, sich zwischen Peter Hollinger, David Moss, Ikue Mori, Layne Redmond, Günter Baby Sommer, Vladimir Tarasov oder Z'ev zu entscheiden, kann auch an zwei Workshops teilnehmen. Das kostet dann allerdings 200 statt 150 Mark. Immer noch ein Spottpreis dafür, daß man danach in seine Biographie schreiben kann: habe mit Vladimir Tarasov, Mitglied des legendären sowjetischen Ganelin Trio, gespielt.

Den Auftakt der Leistungsschau der Schlagzeuger – Plattenhändler würden sie die Fantastischen Sieben nennen – bilden heute abend (20.30 Uhr) Solokonzerte mit Moss, Tarasov, Mori und Z'ev. Am Sonntag dann die restlichen drei.

Die Teilnehmerzahlen der Workshops scheinen bis jetzt recht unterschiedlich zu sein. Deutlicher Favorit ist David Moss, der seit über einem Jahr in Berlin lebt. In dieser Zeit hat er, zunächst als DAAD-Stipendiat, jetzt als freier Schlagzeuger, so viel Staub durch ungewöhnliche Aktionen aufgewirbelt, daß ihn wohl bald jedes Kind kennen wird. Erinnert sei vor allem an so merkwürdige Unternehmungen wie die Vermischung von Sport und Musik in der Schöneberger Sporthalle, wo Moss Klänge erzeugte und dazu geturnt wurde. Moss wird sich sicherlich auch über Sportler in seinem Workshop freuen, die dann beim Abschlußkonzert mit anderen Lernenden im Podewil geräteturnen könnten. Oder einen Stufen-Barren zur Trommel umfunktionieren. Der Kreuzberger Peter Hollinger dagegen konnte wieder einmal den Verlockungen des Geldes nicht wiederstehen und bietet so, völlig gegen seinen ureigensten Willen und gegen seine tiefe Schlagzeugerüberzeugung ebenfalls einen Lehrgang an. „Ich hasse Workshops“, war noch gestern Morgen seine unumstößliche Meinung zu dem Thema. „Das einzige, was ich den Leuten beibringen kann, ist, wie man ohne Flaschenöffner ein Bier aufmacht.“ Bauarbeiter können sich die 150 Mark Kursgebühren also getrost sparen. Hollinger steht auf dem, irgendwie recht überzeugenden, Standpunkt, man könne niemandem das Trommeln beibringen. Er selbst ist überzeugter Autodidakt und entwickelt seine Philosophie, politically absolut correct, weiterhin aus den Lehren der Punkära: jeder kann alles, wenn er nur will. So war Hollinger einmal der beste Gitarrist Kreuzbergs, ohne „spielen“ zu können. Die Verweigerung der heute modischen Gesellschaftsmaxime, man könne alles „lernen“, müsse ständig seine Technik verfeinern und so weiter katapultiert einen hinaus aus einer Welt, die ernsthaft vorgibt: daran müssen wir arbeiten, und die damit doch nur noch meint: damit könnte man Karriere machen.

Für Hollingers Workshop haben sich bisher erst zwei Freiwillige gemeldet. Mit ein bißchen Mut und einer Ladung Schrott, auf der sich Trommeln läßt, und vielleicht ein paar Sixpacks unter dem Arm wäre Hollinger sicherlich bereit, noch einigen Kandidaten zu erklären, wie zumindest er sich das Trommeln selbst beigebracht hat.

Für Menschen, die Russisch können, am besten Litauisch, böte sich ein Workshop bei Vladimir Tarasov an. Tarasov, der in der Haupstadt Litauens, Vilnius, lebt, war Mitglied des Ganelin Trio, das sich vor einigen Jahren auflöste. Er und der Saxophonist der Gruppe, Vladimir Chekasin, versuchen weiterhin den improvisierten Jazz vor allem der Baltenrepubliken in Westeuropa bekannt zu machen. Tarasov war bereits letzte Woche in Berlin in der Ausstellung „Päckchen für Deutschland“ im Tränenpalast zu hören.

Tarasov dürfte einer der Schlagwerker des Touch-Festivals sein, der auch pädagogische Erfahrung mit in die Workshops einbringt: Er unterrichtet an der Kunstmusikschule Vilnius. Ich sah ihn live beim Vilnius-Jazz-Festival im Oktober 92, wo er sein Schlagzeug zum poetischen Instrument umformte. Auf der Hand balancierte er einen Luftballon, gab ihm immer wieder einen leichten Schubs nach oben. Jede Berührung des Luftballons verwandelte Tarasov, je nach Stärke des Aufpralls, in einen sanften Stoß der Baßtrommel. Tarasov wurde für Momente zum Clown Pic im Circus Roncalli, der vor Jahren bunte Luftblasen durchs Zelt pustete. Erinnerung an eine Zeit, in der man so etwas noch genießen konnte. Andreas Becker