„Dann macht's wirklich Spaß“

■ Seit fünf Jahren sucht das Garn Theater Schnittstellen zwischen Bühnenleben und Weltgeschehen

Katzbachstraße 19 – ein Haus in einer typisch Altberliner Häuserreihe, mit leicht kleinbürgerlichem Touch. Nur schwer läßt sich dahinter ein unterirdisches gruftartiges Kellergewölbe vermuten – die Spielstätte des Garn Theaters. Man passiert die Tür zum Hinterhof, marschiert zum ausgeschilderten Eingang und steht vor einer steil nach unten weisenden Treppe. Wer sie passiert hat, ist in die Welt des Theaters abgetaucht – ins Garn Theater. Empfangen wird man von einer Schar an der Wand hängender Marionettenpuppen, die einen von oben lustig oder auch böse anblinzeln.

Seit zweieinhalb Jahren ist die Katzbachstraße Spielstätte des Garn Theaters, das seit nunmehr fünf Jahren existiert – Jahre intensivster Arbeit. Vierzehn Inszenierungen hat das Garn in dieser Zeit umgesetzt, fast jeden Tag wurde gespielt. So hatte „Der Traum eines lächerlichen Menschens“ dreihundert Aufführungen und „Der Bericht für eine Akademie“ erreicht in Bälde die zweihunderfünfzigste. Fleißig mußte auch gearbeitet werden, denn das Garn Theater, das sind Adolfo Assor und Nadia Schmidt, hat nie eine finanzielle Unterstützung erhalten. Das Theater hat es aus eigener Kraft geschafft, mit dem durch die Eintrittskarten eingenommenem Geld zu leben, und für Adolfo und Nadia reicht es auch.

Natürlich gab es auch kritische Zeiten. Nach der Eröffnung der Mauer lag eine mächtige Flaute über der Westberliner Off-Szene, und auch der Krieg des Iraks hat sich an der Abendkasse des Garn Theaters bemerkbar gemacht – ein Großteil des Publikums blieb zu Hause. Die Existenz des Theaters war schon fast gefährdet. Ein knappes Jahr hat es gedauert, bis die beiden Theaterleiter sagen konnten: die Krise ist endlich überstanden.

Das Garn Theater lebt von ihren beiden Initiatoren Adolfo Assor und Nadia Schmidt, auch wenn man auf der Bühne nur Adolfo agieren sieht. Nadia hat vor einiger Zeit mit ihm zusammen gespielt, fühlt sich aber eigentlich der Kunst mehr hingezogen als dem Schauspiel. Sonst wird alles gemeinsam gemacht, inszeniert, Regie geführt, das Bühnenbild, sogar die Büroarbeit.

„Ich wäre sehr unglücklich, wenn ich nur Schauspieler wäre. Ich mag die gesamte Arbeit, möchte sie mit übernehmen, möchte sie leben. Dann macht's wirklich, wirklich, aber wirklich Spaß“, sagt Adolfo, der hauptsächlich die Texte auswählt. „Das kommt irgendwie von selbst. Ich kann das auch nicht hundertprozentig beschreiben, es ist eine Art selbstlaufender Prozeß. Man stößt auf einen Text, sei es meiner oder Nadias, verliebt sich in ihn und geht rein in die Arbeit.“ Meist werden im Garn Ein-Personen-Stücke gespielt. Von den vierzehn Inszenierungen waren neun Soloabende, die restlichen Stücke arbeiten mit zwei oder drei Personen. Bei einem Blick auf den Spielplan fällt auf, daß Kafka dominiert. Außerdem stechen Eugene Ionesco, ein typischer Vertreter des Absurden Theaters, und Dostojewski ins Auge. Die beiden inszenieren mit Vorliebe Stücke, an die sich große Theater nicht wagen, eine Art konzeptionelle Idee, die immer verfolgt wird. „Wir machen, was nötig ist, was große Theater jedoch nicht machen können.“ Adolfo will durch seine Inszenierungen „Leben retten“, und das könne man nur, „wenn man es auf der Bühne versucht“.

Das Garn Theater sucht den Schnittpunkt zwischen Bühnenleben und Weltleben, sucht Konfrontation, stellt das Thema Angst in den Vordergrund. „Auf der Bühne möchte ich immer Konfrontationen schaffen, zwischen den Zuschauern und mir, denn so beschäftige ich mich selber mit der Angst und damit auch der Zuschauer.“ Adolfo versucht, mit dem Publikum zu kommunizieren, sucht die Nähe zu den Zuschauern, wozu sich die Ein-Personen- Stücke mit ihrer Dichtheit besonders gut eignen.

Seit seinem vierzehnten Lebensjahr ist der gebürtige Chilene von dem Wunsch beseelt, Theater zu spielen. Seit fast sieben Jahren lebt er in Berlin, und hier hat er es nun geschafft, sich diesen Wunsch zu erfüllen. Fünf Jahre harte und intensive Arbeit liegen hinter ihm, und die kommende Zeit soll noch intensiver werden. Für das kommende Jahr sind viele Inszenierungen geplant, was und wie viele, ist noch unbekannt. „Reise durch die Hölle“ oder „Achterbahn“ heißt das nächste Stück, es wird im Februar zu sehen sein. Eine Inszenierung mit viel Humor und viel Ironie, was den Zuschauer – so hofft Adolfo – so richtig zum Lachen bringt.

Nadia plant zur Zeit ein Ausstellungsprojekt in Form eine Labyrinthes im unter dem Garn Theater befindlichen Keller. Ab April wird dort Objektkunst zu besichtigen sein. Beatrix Reinhardt