Aus der Reihe: Tanzen

In der etwas anderen Tanzschule „bebop II“ im Prenzlauer Berg gelten andere Benimmregeln  ■ Von Andreas Becker

Sie ist nicht ganz leicht zu finden, die neue Tanzschule in Prenzlauer Berg. Eingang Stargarder Straße 10, durch die Toreinfahrt, dann erst einmal den Lichtschalter gedrückt, der erste Hof ist erleuchtet, immer dem Hinweisschild „bebop II“ nach. Noch einmal leuchten, zweiter Hof, jetzt die Treppenhausbeleuchtung angeknipst, eine wuchtige Tür aufgezogen, und wir stehen unvermittelt zwischen Walzer tanzenden Pärchen.

Eine langgestreckte Fabriketage öffnet sich. Die weiße Farbe riecht noch frisch, die rechte Wand ist verspiegelt, man kann seinen Schritt prüfen oder wie in einer Balettschule sein Bein auf eine hüfthohe Stange schwingen. Wenn man einigermaßen beweglich ist. Sonst hangelt man sich an der Stange entlang zur Bar, trinkt sich ein wenig Mut an und fragt: Wollen Sie tanzen? Bei BeBop II muß man dabei nicht aufs Geschlecht achten: mann darf ruhig auch einen Mann auffordern.

Und das ist dann auch schon ein gewichtiger Unterschied zu herkömmlichen Tanzschulen, so jedenfalls Christoph Neumann, Leiter des bi-bop. Neumann war deutscher Vizemeister im Showtanz, geriet dann aber zunehmend mit dem starren Reglement des ADTV (Allgemeiner Deutscher Tanzsportverband) in Konflikt. Seine erste Meisterschaftsteilnahme war gleichzeitig seine letzte. Er gab das Tanzen auf und promovierte in Literaturwissenschaft. Nach der Uni entdeckte er erneut seinen Spaß an den schwingenden Bewegungen. Er baute die Tanzschule Tango Vivo in der Hobrechtstraße in Neukölln auf (heute „bebop I“).

Die bebop-Tanzschulen sind nicht Mitglied im ADTV. Das macht eine freie Auswahl der Musik und der Ausbildungsformen möglich. Während in den meisten althergebrachten Tanzschulen immer noch viel Wert darauf gelegt wird, die jungen Tänzer nicht nur bewegungs-, sondern auch gleich noch moraltechnisch zu erziehen, ist es bei bebop möglich, aus der Reihe zu tanzen und einen „shebop“, „hebop“ oder gemischtgeschlechtlichen Tanzkurs zu besuchen. Daneben gibt es Kurse für geistig Behinderte und neuerdings auch für Blinde. Nur Rollstuhlfahrer müssen, weil es keine Fahrstühle gibt, weiter auf zwei Rädern in der Disco tanzen.

Christoph Neumann legt Wert darauf, keine Tanzlehrer einzustellen, die besser Fahrschullehrer oder gleich Feldwebel bei der Bundeswehr geworden wären. Fast alle LehrerInnen haben eine Tanzausbildung bei Neumann persönlich absolviert. „Ich stelle möglichst nur Lehrer ein, die neben dem Tanz noch eine andere Ausbildung haben“, sagt der Chef. Ulrike Albrecht ist ausgebildete Krankengymnastin und plant für ihre Arbeit im bebop II auch einen speziellen Tanzkurs für Herzkranke, die eine Operation hinter sich haben. Tanz als Therapie.

Auch musikalisch geht bebop neue Wege. Neumann: „In normalen Tanzschulen ist es so, daß fast ausschließlich Orchester wie Hugo Straßer gespielt werden, weil diese Orchester die Stücke nach den festgelegten ADTV-Regeln spielen. Daß heißt, es gibt so und soviel Takte pro Minute. Wenn Straßer eine Samba spielt, hat das mit Samba nicht viel zu tun. Wir versuchen solche Stücke zu meiden.“ Die ADTV-Tanzschulen bemühen sich demnach um eine konsequente Max-Gregerisierung sämtlichen Liedgutes. Was nicht in deutschen Takt und Ordnung paßt, wird eben umfrisiert. Ob Samba, Salsa, Merengue oder Fox und Boogie – jeder zu komplizierte Rhythmus wird einplaniert. „Bei uns müssen die Leute sich viel mehr auf die Musik konzentrieren.“ Das fällt vor allem Tänzern schwer, die als Anfänger das deutsche Taktgefühl eingebleut bekommen haben. Weil im bebop die rhythmischen Originale gelehrt werden, dauert das Lernen dann vielleicht etwas länger. Der kürzeste Kurs mit sechs Terminen kostet 135 DM (ermäßigt 120).

Die Lage der neuen Schule in Prenzlauer Berg ist für Neumann keinem missionarischen Drang in den Osten zu verdanken, sondern schlicht einer relativ tragbaren Mietforderung für die Fabriketage. Im bebop II werden auch Jazz- und Klassikkonzerte veranstaltet, im Anschluß kann dann auch nach Livemusik das Tanzbein geschwungen werden.

Bei den noch heute und morgen stattfindenden Tagen der offenen Tür, kann man unverbindlich die Tanzschühchen überstreifen und sich so richtig schön ungeschickt anstellen. Jeweils eine Stunde lang wird ein bestimmter Tanz vorgestellt. Bei meinem Besuch im bebop II hätte ich fast mitgetanzt – und das will was heißen.

Heute und morgen: „Tag der offenen Tür“ im bebop II, Stargarder Straße 10, U-Bahnhof Schönhauser Allee; am Sonntag ab 15 Uhr: Großer Eröffnungstanztee mit Programm