■ Immer mehr Menschen sprechen mit Bauch und Rücken
: Der schmutzige Leibchen-Krieg

Der Mensch ist und bleibt ein rätselhaftes, letztlich unerforschtes Wesen. Deutlich sichtbar wird das unter anderem in der T-Shirt- Frage. Ist doch das bedruckte Leibchen in den letzten Jahren für immer mehr Menschen immer wichtiger geworden. In Zeiten sinkender Kommunikationsfähigkeit bei gleichzeitigem Überangebot an Kommunikationsmitteln wächst naturgemäß bei vielen der Wunsch, sich halt irgendwie auszudrücken. Die großen Textilfirmen rüsten ihre Teile schon standardmäßig à la „Skipper Joe“, „Washington Redskins“ oder so 'nem Quatsch aus. Und wer heutzutage politisch intervenieren will, sagen wir „I like Bonn“-like, kommt am schnellen Druck einiger tausend T-Shirts schlicht nicht vorbei. Doch vielen ist das nicht mehr differenziert und wirkungsvoll genug. Andere wiederum lieben es persönlicher. Eine Reihe von Firmen kann daher seit Jahren ganz flott vom Druck und Verkauf der oftmals Bauch und Rücken zierenden Mini-Flugis leben. Und es ist fast alles zu haben. Auch sehr, sehr Geschmackloses: Vor Jahren bereits erstand ein mir flüchtig bekannter Mailänder in Genua ein Hemd mit der Aufschrift „I suffocated Linda Lovelace!“ – und hatte die Stirn es zu tragen. Zwar nur ein Mal. Dafür aber behauptet er noch heute, es sei auf dem Fest der Unitá gewesen. Und die verknöcherten Genossinnnen hätten „lediglich den Witz nicht verstanden“ gehabt. Die Prollis jedenfalls hätten sich halb totgelacht. In einer Fabrik wäre er nie und nimmer so vermöbelt worden.

Für diejenigen, die es gerne noch etwas härter oder einen Strich privater haben wollen, gibt es längst in jeder Kleinstadt Läden, die ganz nach Wunsch und Maß arbeiten. Wie im Fall einer westdeutschen Lehrerin für Französisch, die sich als Botschaft an die Umwelt den Trauertorpedo „Je suis seule!“ hatte maßanfertigen lassen. Doch das sind Ausnahmen. Das Angebot an Fertigware ist schließlich gigantisch. Da ist für jeden was bei. Allein im Musikbereich werden enorme Umsätze erzielt. Und was da auf Konzerten oft zu sehen ist, wenn die Hemden großen Ausgehtag haben... Verbürgt ist etwa der Fall eines dumpfen Mittdreißigers, der mit einem knappen „Fahr zur Hölle du Arsch!“ für Angst und Schrecken sorgte. Sicher, alle machten ihm stets Platz an der Theke. Doch wer würde den jungen Mann anschließend noch auf eine Sause mitnehmen?

Woran liegt es also, daß zunehmend auch erwachsene Menschen sich ohne Not mit doofen Bildern und Sprüchen ihrer Lieblingsbands oder dümmlichen Wahrheiten irgendwelcher Philosophen lächerlich machen wollen? Wem etwa wäre noch nie der Dösel mit dem „Kampftrinker!“-Hemd, der „Suicide is alright“-Wahnsinnige oder gar der „Wer ficken will, muß freundlich sein!“-Idiot auf offener Straße begegnet? Natürlich, die Statements sind ja an sich irgendwie o.k. Aber vorn auf der Brust? Muß das sein? Und wenn ja, warum bloß?

Ex-tazler Klaus N. etwa erschien zum Training der Betriebsfußballmannschaft stets mit einem weißen T-Shirt und der gellenden Aufschrift „Here comes trouble!“. In der Tat, ein größerer Holzer vor dem Herrn ward nie gesehen. Doch was hatte den überraschend Unbefangenen dazu bewogen, es auch noch aufzuzeichnen und allen zu zeigen?

Ein anderer, augenblicklich immerhin Chefredakteur der besten deutschen Tageszeitung, war gar so weit gegangen, in einer Talk- Show im TV einen Sweater mit der irritierenden Aufschrift „Sonderschule Castrop-Rauxel“ zu tragen. Die PR-Abteilung des Verlages muß nun völlig neu aufbauen.

Im Winter trägt der Geschäftsführer eines mittleren Berliner Unternehmens oft einen schicken gelben Sweater mit der Aufschrift „Reif für die Insel!“. Warum? Will er die – übrigends sehr schlecht bezahlten – Angestellten trösten, will er sie motivieren oder nur verarschen? Man bekommt aus diesem Tätertyp ja auch nie etwas heraus. Stets heißt es nur: „Ich find' das jedenfalls witzig!“

Ich nicht. Ich bin da ganz anders. Meine Hemden beschränken sich auf das Wesentliche. Ich mach' doch nicht jeden Scheiß mit. Insgesamt habe ich höchstens 20, gut, vielleicht 30 dieser Dinger. Aber natürlich nur vom Feinsten. Nur die besten Gruppen und nur die weisesten Sprüche. „Keine Macht den Doofen“ und so. Aber mein Kleiner macht mir Sorgen. Zwar hatte ich ihn ganz passabel angefixt, mit einem schönen Led-Zep- Shirt. Aber dann brüskierte er uns eines Tages mit deprimierend einfältigen „New Kids on the Block“. In lila und XL! Und das war erst der Anfang. Nach einer nervtötend langen Jacko-Phase, die mich schon aus Trotz immer härter in den melodiösen Hardcore-Trash trieb, kam er eines an sich schönen Tages aus dem Kinderladen mit dem puren, auf Kassette gebannten Grauen nach Hause: die Prinzen! Es folgte ein Konzertbesuch. Die sächsische Flenn- und HeulCombo war im Berliner Metropol zu sehen. Dort kam es dann auch zu der folgenschweren Tat. Sein Erzieher (!) schenkte ihm ein schwarzes T-Shirt mit rapsgrellem Schriftzug: „Das Leben ist grausam!“ Und nur so konnte es dann auch zu der dramatischen Verwechslung kommen, die mir den schlimmsten Sylvesterabend seit vielen Jahren bescherte. Ich hatte das Ding achtlos übergestreift und den Pulli nachgeschoben, im Glauben, den fiesen Joker der Kreuzberger Super-Band Jingo de Lunch anzuhaben, mit dem ich jahresendmäßig meine Bekannten zu schocken gedachte. Das Schlimme war: die ganze Zeit lief ich ahnungslos mit dem Prinzenschrott auf dem Bauch herum. Mein eigener Sohn! Aber das nehme ich nicht einfach hin. Werde mir von Charlie das „Depressive Age“-Teil ausleihen, auf dem sich ein Embryo die Knarre ans Schläfchen hält. Schriftzug: „First Depression“. Das tausche ich dann unauffällig gegen die Prinzen, wenn er wieder Religionsunterricht hat. Das Leben ist schließlich grausam! Philippe André