Die geschrumpften Riesen

Leverkusen verliert in der Europaliga gegen Real Madrid dank eines im wahrsten Sinne des Wortes überragenden Sabonis mit 91:106  ■ Aus Leverkusen Thomas Lötz

Zu Beginn der Rückrunde war es das Topspiel der Basketball-Europaliga, GruppeB. Der Dritte, Bayer Leverkusen, die deutsche Hoffnung in diesem Wettbewerb, traf auf die einzige de facto unbesiegbare Mannschaft, den Tabellenersten und spanischen Vizemeister Real Madrid. Die Königlichen hatten lediglich eines ihrer bisherigen sieben Gruppenspiele nicht gewinnen können, und dies auch nur, weil sie, einer Empfehlung des spanischen Außenministeriums folgend, die Reise ins kroatische Zadar gar nicht erst antraten. Die Spieler und Offiziellen hatten einfach Angst um ihr Leben.

So schlugen sie dem Weltverband FIBA als alternativen Austragungsort das als sicher eingeschätzte Zagreb vor, doch dieses Ansinnen wurde vor allem vom Präsidenten der FIBA, einem Serben, abgelehnt. Die Dachorganisation wertete das nicht stattgefundene Spiel schließlich zugunsten von KK Zadar und stellte fest, daß an der Adria zwischen Rijeka und Split keine Gefahr für Leib und Leben der Spanier bestanden hätte.

Michael Koch, Leverkusens und Deutschlands bester Dreipunkte-Schütze jedoch ist in solchen Fragen etwas detaillierter, besser informiert. Nach Ende der Partie gegen Real wußte er zu berichten, daß entgegen offizieller Meinung ein Spiel in Zadar durchaus, nennen wir es einmal „Probleme“, mit sich bringen könne. Beim Gruppenspiel KK Zadar gegen Estudiantes Madrid nämlich seien in der Nähe des Mannschaftshotels der Spanier zwei Soldaten erschossen worden.

Zum abgelaufenen Spiel selbst fiel Koch dann nur noch ein, daß er und seine Jungs gegen die cleveren Madrilenen einfach keine Chance gehabt hätten. Auch diese Information des 27jährigen war zutreffend.

Ein einziges Mal im gesamten Spiel lag Bayer in Führung. Henning Harnisch hatte sie besorgt. Es war das 1:0, die erste Spielminute war noch nicht verstrichen. Die Körbe hingen in der richtigen Höhe und vor allem nicht am falschen Platz. Der Gegner war noch nicht so richtig warm. Und doch, die Worte lassen es bereits erahnen: dies alles änderte sich. Gewissermaßen schon mit dem nächsten Wurf. Harnischs zweiter Freiwurfball berührte zuerst den Ring, das Brett und dann den Boden. Das Aufklatschen der orangefarbenen Kugel war bereits das Fanal. In der folgenden Viertelstunde wirbelten die Senores Antunez, Cargol und der litauische Mega-Center Arvidas Sabonis, der trotz seiner 2,20 Meter noch lyrischer und intelligenter spielt als der Klang seines Vornamens es ohnehin schon andeutet, durch die Luft unter dem Leverkusener Korb. Wheeler, Harnisch, Koch, Johnson und der völlig indisponierte Christian Welp, die allesamt die Vokabel Rebound vergessen zu haben schienen, entschwanden in die Weiten des Basketball-Universums, 15 Punkte entfernt.

Die vollgepfropfte Wilhelm- Dopatka-Halle, deren Name wiederum alles über ihre architektonische Eleganz verrät, schwieg. Der Zweckbau schien erst wieder zu erwachen, nachdem Bayer-Trainer Dirk Bauermann Manndeckung als Mittel gegen Real auslobte. Die sich gegen das Einschrumpfen wehrenden Riesen vom Rhein kamen sogar bis auf drei Punkte heran, ließen dabei jedoch viel Kraft, begingen in Folge einige haarsträubende individuelle Fehler (Wheeler, Johnson) und verloren erneut den Anschluß, weil die Madrilenen jeden dieser Fehler gelassen ausnutzten. Die sieben Punkte Rückstand zur Pause spiegelten kaum die tatsächliche Differenz wider. Um sie aber wußte der Hallensprecher. Als Halbzeit-Untermalung brachte er den ungläubigen Bayer-Fans die „Raumschiff Enterprise“-Titelmelodie zu Gehör. Wir sind 15 Punkte, 2000 Lichtjahre vom Ausgleich entfernt. Am Ende sollte er Recht behalten.

Die eingeschrumpften Bayer- Riesen müssen in den nächsten zwei Wochen in Piräus und zu Hause gegen Vrai-Pau Orthez siegen. Vielleicht könnten diese vier Punkte, die wohl die Teilnahme an der Runde der besten Acht sicherstellen würden, Manager Otto Reintjes vor einer einsamen Entscheidung bewahren. Denn das auf diese zwei folgende Spiel soll in Zadar stattfinden. Michael Koch und seine Mannschaftskollegen wollen dort nicht antreten. Was aber, wenn Bayer die Punkte aus Kroatien zum Weiterkommen im Wettbewerb braucht? Die Bayer- Verantwortlichen signalisierten allerdings nach dem Spiel gegen Real, daß man notfalls doch reisen werde. Wohl in der Hoffnung, daß die Angaben der FIBA über die Sicherheit in Zadar zutreffen. Aber um sicherzugehen, sollten die geschrumpften Riesen besser schnell wieder wachsen. Bis Piräus bleibt ihnen eine Woche.