Wimmern, Jammern, Krächzen

■ Internationales Theatertreffen „Unter Wasser fliegen“ in Remscheid

Dienstag abend in der Akademie Remscheid: die 60 TeilnehmerInnen des Workshops warten auf Sainkho Namchalak. Ungeduldig ist niemand, obwohl nicht sicher ist, ob sie wirklich kommt. Als sie dann doch erscheint, sehr sorgfältig geschminkt, spricht sie beinahe leise, sucht den Rand, nicht die Mitte des Raums.

Jeden Abend nach den Workshops stellen sich zwei oder drei der acht zu dem Theatertreffen „Unter Wasser fliegen“ eingeladenen Künstlerinnen aus Afrika, Asien, Europa und Lateinamerika mit ihrer Gesangskunst vor. Sainkho Namchalak singt heute abend allerdings nicht. Statt dessen zeigt sie einen Film, den Konstanze Binder für das russische Fernsehen gedreht hat. Der Film erzählt von Sainkhos Reise nach Tuwa, ihrer sibirischen Heimat, die ihr beinahe so fremd geworden sei wie ihr Wohnort Wien. Davon merkt man jedoch nichts. Man sieht eine wandlungsfähige Frau, die im dicken Mantel in sibirischer Steppe die Stimmen von Kamelen nachahmt, und die vor einem Käfig die Laute verschiedenster Vogelarten trifft. Man entdeckt eine Asiatin, die im Kreis ihrer Familie die Techniken der rituellen Vokalmusik übt. Und man erlebt eine starke Frau, die mit so bekannten und avantgardistischen Musikern wie Peter Kowald reist und dabei genaue Vorstellungen von der Musik hat, die aus der gemeinsamen Improvisation entstehen soll.

Organisiert hat das Theatertreffen „Unter Wasser fliegen“ Kordula Lobeck de Fabris. Sie ist im Beirat des Magdalena Projekts, einem internationalen Netzwerk für Frauen im zeitgenössischen Theater mit Sitz in Cardiff. Über diese Organisation kennen sich einige der Künstlerinnen, arbeiten aber in dieser Konstellation zum ersten Mal zusammen. Die ersten drei Tage in Remscheid waren die acht Künstlerinnen unter sich. In dieser Zeit haben sie ein gemeinsames „A capella Konzert“ entwickelt. Jede hat ein für ihre Kultur typisches Lied vorgegeben, das die anderen lernen mußten. Das war nicht immer einfach, denn hier begegneten sich traditionelle afrikanische Musik und Lieder der schwarzen Bevölkerung aus der Karibik, Gesänge vom mittleren bis fernen Orient treffen auf Brecht-Songs, Flamenco-Musik und Obertonklänge. Mit dem gemeinsamen Konzert hat am Donnerstag der dritte – öffentliche – Teil des Theatertreffens, das „Frauen-Stimmen-Festival“ in der Wuppertaler Börse, begonnen.

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Davor fanden Workshops statt. Ist es schwierig, mit Sainkho zusammenzuarbeiten? Elisabeth Müller ist Kabarettistin und nutzt den Workshop in der Remscheider Akademie zur Weiterbildung. Sie sucht neue Wege für ihre künstlerische Entwicklung. Bei Sainkho, die sich mit der Kultmusik des Lamaismus und Schamanismus beschäftigt, hofft sie mehr über die Möglichkeiten der Improvisation und der Performance zu erfahren. Sehr sachlich sei sie und sehr diszipliniert. „Sie entlockt uns Töne, von denen wir nicht einmal geahnt haben, daß es sie überhaupt gibt. Ich lerne hier erste Stufen von Kehlgesang und Obertonmusik kennen, aber auch Wimmern, Jammern, Krächzen, Laute, die aus dem Körper und nicht aus dem Kopf kommen.“

Erfahrungen, die auch andere in ihren Workshops machen. Aus vielen Ländern Europas, sogar aus Australien sind die Frauen und Männer angereist, um hier mit Künstlerinnen zu arbeiten, die sie sonst nie gemeinsam erleben könnten.

Und was denken die Künstlerinnen selbst über das Theatertreffen? „Ich lerne hier wirklich fliegen“, charakterisiert Sonja Kehler, Schauspielerin, Regisseurin und Brecht-Interpretin, die Arbeit mit den anderen. Aber sie hat auch Sorge um ihre Stimmbänder, denn die unterschiedliche Gesangskunst der Frauen verlangt ein völlig neues Training. Brigitte Cirla aus Frankreich und Equidad Bares aus Spanien fangen dagegen schon beim Essen an, zusammen zu singen.

Konkurrenz ist zumindest von außen nicht zu sehen. Bei der Performance von Stella Chiweshe am Dienstag abend sitzt Nasrin Pourhosseini aus dem Iran, die unter anderem mit Peter Brook und Adriane Mnoushkine gearbeitet hat, assistierend im Hintergrund. Sie hält Turban und Tuch von Stella Chiweshe. Stella ist Priesterin und Musikerin zugleich. In Simbabwe ist sie als weibliche Mbira-Spielerin eine Besonderheit. In Remscheid ist sie es auch ohne ihr Daumenklavier. Bevor sie mit ihrer Performance beginnt, nimmt sie Schnupftabak, schneuzt sich in ihr kostbares Tuch, während die TeilnehmerInnen ihres Workshops auf ihren Einsatz warten. Stella Chiweshe gibt Töne vor, und 60 Stimmen antworten. Sie tanzt, und alle folgen ihr. Die Geschichten zu ihrem Gesang erfindet sie jedesmal neu. Je nach Stimmung wird eine Begebenheit traurig oder lustig. Hauptsache, sie klingt schön. In Simbabwe möchte sie nach ihren Erfahrungen bei dem Theatertreffen ein ähnliches Projekt für Frauen organisieren. Ob das gelingt, bleibt noch ungewiß. Sicher aber ist, daß in den zehn Tagen vom 8. bis 17.Januar Ideen entstanden sein werden, die nicht nur das Bergische Land bereichern werden. Iris Wolfinger

Noch bis Sonntag präsentieren die acht Frauen in der Wuppertaler „Börse“ ihre Gesangskunst öffentlich. Jeweils ab 20Uhr.