Konservatives Unbehagen vor dem Sieg

In Frankreich scheinen die Gewinner der Wahlen im März schon festzustehen/ Doch es gibt noch keine Spur von einem Programm/ Eine neue „Cohabitation“ wirft ihre Schatten voraus  ■ Aus Paris Bettina Kaps

Eigentlich könnten Frankreichs Konservative heiter und gelassen auf die Wahlen zur Nationalversammlung warten. Denn nach den Abstimmungen am 21. und 28.März – das gilt als bombensicher – werden die neogaullistische RPR und das rechtsliberale Parteienbündnis UDF das Parlament regelrecht überschwemmen. Zwar werden dem Rechtsbündnis nur 35 bis 40Prozent der Stimmen vorausgesagt, doch durch das Mehrheitswahlrecht dürfte dieses Ergebnis dazu führen, daß sie Dreiviertel oder mehr der Abgeordneten stellen werden. Aus der stärksten Gruppierung wird der sozialistische Präsident Mitterrand dann den Premierminister bestellen; einer neuen cohabitation, dieser Zwangsehe von Links und Rechts (wie schon von 1986 bis 1988), steht also nichts mehr im Wege. Doch die Konservativen genießen die Aussicht auf die lang ersehnte Regierungsmacht nicht. Statt dessen überwiegt in ihren Reihen das Zögern, sogar Angst. Charles Millon, Fraktionsvorsitzender der UDF, warnt vor „dem Sieg aller Gefahren“. Sein Kollege Alain Madelin fürchtet, daß nach dem Erfolg eine „Hochgebirgstour im Winter“ beginnen wird, und der Zentrist Francois Bayrou erwartet, „daß die Situation bald unregierbar wird“. Für diese Stimmung gibt es viele Gründe.

Am meisten grämt die Konservativen, daß sie erneut unter dem gehaßten Mitterrand regieren müssen. Die Amtszeit des Präsidenten endet erst 1995. Und obwohl er nach zwölfjähriger Herrschaft im Lande immer unbeliebter wird, gibt er nicht das geringste Signal, daß er vorzeitig auf die Macht verzichten könnte. Das Gegenteil ist der Fall: In seiner Neujahrsansprache betonte der Staatschef, er werde auch nach den Wahlen „über den gewissenhaften Respekt unseres demokratischen Lebens wachen“ und vor allem die sozialen Errungenschaften der Linken verteidigen. Das war eine Kampfansage, die viele Rechte in Rage brachte.

Mißtrauen gegen Mitterrand

„Die Opposition wünscht einstimmig den Abgang von Francois Mitterrand nach den Legislativwahlen“, formulierte Zentristen-Chef Pierre Mehaignerie ihre Neujahrshoffnung. Doch wie RPR-Chef Jacques Chirac sind alle Oppositionsführer davon überzeugt, daß ihnen der alte Mann trotz seiner Krebserkrankung „nicht eine Viertelstunde schenken“ wird. Um Mitterrand doch irgendwie wegzujagen, spielt vor allem der UDF- Vorsitzende Valery Giscard d' Estaing mit dem Gedanken, das Regieren nach der Wahl einfach zu verweigern – doch eine Mehrheit findet die Idee eines solchen „Streiks“ nicht. Zuviele Kollegen sind scharf auf das Amt des Premierministers.

Die Konservativen fürchten, daß die cohabitation für sie erneut zur Falle wird. Wie 1986 dauert die Legislaturperiode auch diesmal nur zwei Jahre: Bei den Präsidentschaftswahlen werden die Karten ganz neu gemischt (1988 zugunsten der Sozialisten). Zwei Jahre sind zu kurz, um die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen in den Griff zu bekommen. Schließlich übernimmt das neue Kabinett ein Haushaltsdefizit von 60 Milliarden Mark, das seinen Handlungsspielraum einengt. Zugleich wird es mit drei Millionen Arbeitslosen und einem enormen Mißtrauen in die Politik konfrontiert. Zwei Jahre sind jedoch lang genug, um Enttäuschungen zu wecken.

Auch das Chaos in den eigenen Reihen verjagt jegliche Euphorie. Während sich die beiden Umweltparteien Les Verts und Génération Ecologie erfolgreich zur Einheit gezwungen haben, um trotz des Mehrheitswahlrechts Chancen auf Parlamentssitze zu haben, ist bei den Konservativen das Gegenteil eingetreten. Die Siegesaussicht fördert den Geschwisterkampf noch. Besonders geübt in dieser Disziplin ist das seit zwanzig Jahren rivalisierende Paar Chirac–Giscard d' Estaing. Für die beiden zählt nur: Wie sichere ich mir Vorteile für die nächste Präsidentschaftswahl?

Flügelkämpfe bei RPR und UDF

Innerhalb der Parteien herrschen ebenfalls enorme Flügelkämpfe. Vor allem dem RPR-Tandem Pasqua–Seguin gefällt es, sich ständig von Parteichef Chirac abzugrenzen. Vor dem Maastricht-Referendum war es ihnen gelungen, mit ihrer Kampagne für ein Nein die Mehrzahl der Parteileute auf ihre Seite zu ziehen. Nun plädieren sie lautstark für eine andere Geldpolitik: Der Franc müsse von der Mark abgekoppelt werden. Chirac, Giscard und der Favorit für den Posten des Premierministers, Edouard Balladur, wollen hingegen am starken Franc festhalten. Auch in Sachen Steuersenkungen, Mindestlohn und Privatisierungen gehen die Meinungen auseinander.

Unmöglich, da ein Regierungsprogramm zu erkennen. Ein Papier, in dem die RPR kürzlich „20 Reformen für den Beginn eines Wechsels in Frankreich“ angekündigt hat, kanzelte die Tageszeitung Le Monde schlicht als „Täuschung“ ab: „Einige Vorschläge baden in künstlerischer Unschärfe“, über andere sei sich die Partei ja gar nicht einig. Eine gemeinsame Regierungsplattform von RPR und UDF ist erst für Februar angekündigt, von diesem Papier ist auch nicht mehr zu erwarten. Die Opposition habe viele Anwärter auf Ministerämter, aber wenige für das Nachdenken, dieser Vorwurf wird sogar in den eigenen Reihen laut. Nach mühsamen Verhandlungen gelang RPR und UDF jetzt die Mindestanforderung für ihr Bündnis: Sie einigten sich auf über 500 gemeinsame Kandidaten; in 84 Wahlkreisen gelang allerdings nicht einmal das, da werden RPR und UDF gegeneinander in den Wahlkampf ziehen.

So paradox es klingt: Auch das Ausmaß des erwarteten Sieges schreckt die Bürgerlichen. Aufgrund des Mehrheitswahlrechts wird das Parlament die öffentliche Meinung stark verzerrt wiederspiegeln: Die Sieger werden überproportional vertreten sein, kleine Parteien werden völlig benachteiligt. Der UDF-Fraktionsvorsitzende Million warnt deshalb vor „einer Überschätzung unserer Überzeugungskraft, falls wir sie fälschlich an den Wahlergebnissen messen“. Starker Halt im Parlament, aber schwache Unterstützung beim Volk – zumal viele Franzosen den Konservativen nur deshalb ihre Stimme geben werden, weil die Sozialisten völlig zerschlissen sind. Respekt und Hoffnung wecken die Konservativen darum noch lange nicht.