„Jan Heweliusz“ – ein Katastrophenschiff

■ Polen diskutiert über die Ursachen des Fährunglücks/ Schiff jetzt gesunken

Warschau (taz) – Nach dem Unglück der polnischen Fähre „Jan Heweliusz“, die am Donnerstag morgen vor Rügen bei starkem Sturm umkippte und gestern vormittag schließlich sank, hat in Polen eine Diskussion um die Ursachen der Havarie eingesetzt. Polens Premierministerin Suchocka hat inzwischen ihren Stellvertreter Pawel Laczkowski mit der Zusammenstellung einer Untersuchungskommission beauftragt.

Von den vermutlich 64 Passagieren und Besatzungsmitgliedern konnten bisher mindestens 39 tot geborgen werden – die Seenotrettungszentrale in Stralsund spricht von 54 – neun haben überlebt. Trotzdem dauerten die Rettungsarbeiten auch gestern an, da sich möglicherweise noch mehr Menschen an Bord befanden.

Kritik löste die Tatsache aus, daß die „Heweliusz“ am Mittwoch überhaupt von Swinemünde ausgelaufen war, obwohl zu dieser Zeit Sturm mit Windstärke 12 herrschte. Hinzu kommt, daß die Ladeklappe des Schiffes defekt war – eine offene Ladeklappe hatte 1987 zu der Katastrophe der britischen „Herald of Free Enterprise“ geführt, bei der 189 Personen umgekommen waren. Die „Heweliusz“ ist der gleiche Fährentyp wie die „Herald of Free Enterprise“. Darüber hinaus war die „Heweliusz“ nicht voll beladen und dadurch instabiler. Befragte Seekapitäne meinten, Teile der Ladung – wahrscheinlich ein Eisenbahnwaggon – hätten sich aus der Verankerung gelöst und durch Mitreißen anderer Ladungsteile das Schiff aus dem Gleichgewicht gebracht. Nach ihrer Ansicht hätte bereits ein Kippen des Schiffes um fünf Prozent zu dessen Evakuierung führen müssen – das erste Notsignal wurde erst bei einer Neigung von 30 Prozent aufgefangen. Augenzeugen berichteten, bei der Evakuierung sei das Schiff bereits so abgekippt gewesen, daß die Rettungsboote gar nicht hätten zu Wasser gelassen werden müssen: „Die rutschten einfach in die See hinaus.“

Die 1977 gebaute „Heweliusz“ ist schon oft verunglückt. 1978 kippte das Schiff im Hafen von Ystad um, weil die Ladeausgleichspumpen schlecht funktionierten; 1983 kippte es wieder in Ystad um 45 Prozent und schlug an der Mole auf, als es mit Zement beladen wurde; 1986 schließlich brach während der Fahrt nach Ystad ein Brand aus. Schwedische LKW- Fahrer erklärten danach, sie würden in Zukunft polnische Fähren boykottieren; ein Fahrer erklärte, es sei ihm bereits mehrmals aufgefallen, daß die Besatzung der „Heweliusz“ teilweise betrunken und die Ladung schlecht festgemacht gewesen wäre. Gazeta Wyborcza berichtet, in Schweden sei das Schiff wegen seiner häufigen Unfälle berüchtigt gewesen. Klaus Bachmann