Italien: Ein Mythos wird verhaftet

■ Der oberste Boß der Mafia, Salvator „Toto“ Riina, seit 23 Jahren abgetaucht, ist jetzt geschnappt

Rom (taz) – Salvatore Riina, 62, von zahlreichen Aussteigern als „Capo dei capi“, als oberster Boß aller Mafia-Clans in Sizilien, bezeichnet, ist geschnappt. Am Freitag um halb neun Uhr wurde er in Palermo von einer Spezialeinheit der „Reparti operativi di dicurezza“, ROS, der Carabinieri gestellt und verhaftet. Der seit 23 Jahren abgetauchte Riina fuhr mit einem bisher nicht identifizierten Kumpan seelenruhig mitten durch Palermo, war unbewaffnet und leistete keinerlei Widerstand.

Die Euphorie in Italiens Innen- und Justizministerium, bei den Ordnungskräften und den Parteien ist groß: Riina, dem Geständige seines eigenen Clans nachsagen, er habe mittlerweile so etwas wie eine „Weltregierung“ von Unterwelt-Clans aufgebaut und sich an deren Spitze gesetzt, gilt in der Tat als einer der gefährlichsten Mafiosi aller Zeiten. Verhaftet wurde er erstmals 1958 wegen des Mordes an einem Arzt seiner Heimatstadt Corleone in Innersizilien, den er gemeinsam mit dem späteren Clan-Oberhaupt Luciano Liggio begangen haben soll. Er wurde freigesprochen, galt seither als rechte Hand Liggios und übernahm dessen Geschäfte „draußen“, als dieser wegen des Mordes an dem Arzt schließlich zu Lebenslang verurteilt wurde. 1968 wurde Riina erneut verhaftet, wegen dreifachen Mordes, wieder freigesprochen, aber aufs Festland verbannt. An seinem Verbannungsort kam er nie an, lebte seither im Untergrund und führte dort die Anordnungen des einsitzenden Liggio aus. Anfang der 80er Jahre übernahm sein Clan nach einem erbarmungslosen Ausrottungsfeldzug gegen seine Gegner die Führung aller Mafiagruppen in Sizilien. Zur Last gelegt werden Riina nicht nur mehr als 150 Morde oder Mordbefehle an gegnerischen Gangstern, er soll auch die Anordnung für die meisten Attentate gegen hohe Staatsrepräsentanten – Politiker, Richter, Polizeibeamte – gegeben haben.

Seit Jahren kursierten Gerüchte, wonach Riina sich, unter Deckung hoher staatlicher Organe, unbehelligt in Palermo aufhält; dies wurde vor einem halben Jahr auch von seinem Anwalt bestätigt. Daß man ihn nun plötzlich doch griff, obwohl er nach ersten Berichten weder Fahndungsfotos (die alle mehr als 20 Jahre alt sind) noch dem vom amerikanischen FBI erstellten „Altersbild“ gleicht, nährt bereits den Argwohn, man habe den Mann schon lange unter Sichtkontrolle und hätte ihn längst festnehmen können, bevor er seine letzten großen Mordbefehle gab – die an den Untersuchungsrichtern Falcone und Borsellino im Sommer 1992.

Die eigentliche Kraftprobe mit dem Rechtsstaat steht freilich noch bevor – sollte Riina sich entscheiden, mit den Behörden zusammenzuarbeiten und seine eigenen Handlanger zu belasten, wird er nach dem Kronzeugengesetz in wenigen Jahren wieder frei sein. Hinweise, daß er das vorhat, gibt es bereits. Werner Raith

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