Sanssouci: Vorschlag
■ Wilsons „Doctor Faustus lights the lights“ im Hebbel-Theater
Erst neun Monate ist es her, daß Robert Wilsons Inszenierung „Doctor Faustus lights the lights“ im Hebbel-Theater Premiere hatte. Und doch scheint diese Produktion aus grauer Vorzeit aufzutauchen, wenn sie ab heute abend bis 24.1. noch einmal gezeigt wird. Der Terminkalender des Spektakelfabrikanten und Berufsmystikers Wilson ist voll, und nichts ist so schnell überholt wie die jeweils vorige Arbeit. Die wesentlichen Elemente schleppt der 51jährige Texaner sowieso überall mit hin.
In „Doctor Faustus“ beispielsweise, diesem Operntext, den Gertrude Stein 1938 verfaßte und den Wilson mit Schauspielschülern der Ernst-Busch-Schule realisierte, hängt als wichtigstes Requisit ein Balken über der Bühne – man kennt ihn bestens aus seiner Schaubühnen-Produktion „Die Krankheit Tod“. Wie üblich werden Figuren vervielfacht: In diesem Fall gibt es drei Faust-Spieler, die ihre Seele um der Entwicklung des elektrischen Lichts willen zwei Mephistos verkaufen. Auch Gretchen gibt es dreifach, sie heißen hier „Marguerite, Ida and Helena Annabel“.
Am Anfang der Inszenierung steht ein Mann mit dem Rücken zum Publikum und dreht eine imaginäre Schraube an seinem Kopf. Zweimal stampft er mit dem Fuß auf den Boden, man hört Glas zerbrechen. Das ist der Auftakt zu einer automatenhaften Choreographie von insgesamt zwölf Darstellern, die sich stets rampenparallel bewegen. Jeder Körper ist eine Marionette, jeder Satz des durch seine sprachliche Redundanz hochmusikalischen englischen Textes ein Schutz vor vermeintlicher Identität: Faust – ein blechernes Puppenspiel. Mephisto chargiert zwischen Kasperle und Struwwelpeter, und ein Hund, der immerzu „Thank you“ sagt, betätigt sich nebenbei als Conferencier. Sprache, Bewegung, Musik und Raum sind einmal mehr selbständige Rädchen in Wilsons Gesamtkunstwerk. Sie greifen ineinander oder auch nicht. Anything goes.
Diese Beliebigkeit hat Friedrich Luft schon 1988 Wilsons „Forest“ angekreidet. Einen „gewaltigen Schlag in ein nur vermeintlich tiefes Wasser“ nannte er die Gilgamesch-Adaption damals. Und doch wurde diese Produktion für den Friedrich-Luft-Preis der Morgenpost nominiert. 15.000 Mark würden damit einer Inszenierung zufließen, die das Hebbel-Theater mit drei weiteren Häusern koproduzierte und die von Daimler-Benz gesponsert wurde. Die aus Kritikern und Theaterleuten bestehende Jury hat allerdings noch andere Produktionen vorgeschlagen, darunter „Edith Piaf“ (Kama-Theater), „Rheinische Rebellen“ (Volksbühne), „Schlußchor“ (Schaubühne) und „Der Turm“ (Deutsches Theater). Wie die Jury sich entscheidet, wird man Ende des Monats erfahren. Mit „Doctor Faustus“ jedenfalls, der weltweit getourten Arbeit eines Fortsetzungsmagiers, setzte man dem Mainstream nur eine weitere Krone auf. Petra Kohse
Hebbel-Theater, 18.-24.1., jeweils 20 Uhr, 23.1. auch 16 Uhr
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