Wenn der Minister schon Minister wäre... Von Ralf Sotscheck

Fast gleichzeitig ist in der vergangenen Woche das Thema Medienzensur in Großbritannien und Irland wiederauferstanden — allerdings aus unterschiedlichen Gründen. In London sorgt man sich um die Privatsphäre der Politiker und der königlichen Familie, nachdem sich in letzter Zeit die Berichte über ungebührliches Benehmen der Prominenz gehäuft und so manche hoffnungsvolle Karriere vorzeitig beendet haben. Jüngstes Opfer ist Prinz Charles, der die Windsors mit seinem biederen Telefonsex zum Gespött der Nation gemacht hat.

Wenn es nach dem Tory-Juristen David Calcutt geht, kann der blaublütige Don Juan in Zukunft unbehelligt seinem Hobby nachgehen. Ein Alptraum für die Boulevardpresse, sollten die schönsten Skandälchen zur Geheimsache erklärt werden. Und auch die seriösen Medien haben über Nacht die bürgerlichen Freiheiten entdeckt, an deren Grundfesten Calcutt offenbar rüttelt — als ob Zensur in Großbritannien etwas Neues wäre. Bisher waren davon jedoch bloß ein paar verrückte NordirInnen betroffen. So dürfen seit Jahren unter anderem keine Mitglieder Sinn Feins, des politischen Flügels der IRA, im britischen Rundfunk und Fernsehen zu Wort kommen, obwohl die Partei legal ist und jahrelang einen Westminster-Abgeordneten stellte. Das führte dann zu Situationen, die der unfreiwilligen Komik nicht entbehrten: Wann immer ein Sinn-Feiner auf dem Bildschirm auftauchte, wurde seine Stimme von einem Schauspieler synchronisiert.

In Irland traut man sich selbst das nicht. Sinn-Fein-Mitglieder dürfen im Staatsfunk nicht mal über Gartenzwerge sprechen, geschweige denn über Politik. Dafür sorgt seit 1974 ein Gesetz, das der damalige Labour-Postminister Conor Cruise O'Brien durchgesetzt hatte. Seitdem wurde das Gesetz stets am 20. Januar um ein Jahr verlängert. Das sollte nun anders werden. O'Briens Parteigenosse Michael D. Higgins, der am vergangenen Mittwoch zum Minister für Kunst, Kultur und die Gaeltacht gekürt wurde, erklärte umgehend, daß er das Gesetz abschaffen werde. Vielleicht, hieß es am nächsten Tag. Und noch einen Tag später: Er werde ernsthaft darüber nachdenken. Am Wochenende wurde er seiner Gewissensqualen enthoben. Es stellte sich nämlich heraus, daß seine Vorgängerin Maire Geoghegan- Quinn vom Koalitionspartner Fianna Fail, der bis vor sechs Tagen die Übergangsregierung stellte, das Gesetz heimlich schon am 6. Januar verlängert hatte.

Diesen Beschluß könnte das Parlament innerhalb von 21 Tagen aufheben. Das geht aber nicht, weil das neue Kabinett als erste Amtshandlung die Parlamentarier für einen Monat in den Urlaub geschickt hat. Und Higgins sind die Hände gebunden, weil sein Minister-Portefeuille offiziell noch gar nicht existiert. Neue Ministerien müssen nämlich erst formal vom Parlament abgesegnet werden — nach den Ferien. Bis dahin ist er lediglich für die Gaeltacht zuständig, jenes kleine Gebiet mit etwa 10.000 Menschen, die Irisch als Umgangssprache benutzen. So hat sich das Problem auf typisch irische Art in Luft aufgelöst. Von der neuen Koalitionsregierung sind noch große Dinge zu erwarten.