Nebensachen aus Washington
: Warten auf die Krönung des neuen Präsidenten

■ Die USA im Zeichen des Clinton-Fiebers/ Wenn Watscheln zu präsidialem Traben wird

Ob ich eigentlich wüßte, fragt meine Freundin Clarice mit verdächtig verklärtem Blick, daß „unser neuer Präsident“ jünger als Mick Jagger sei. Solch atemberaubende Feststellungen bekommt man derzeit in Washington oft zu hören. Wehe dem, der sie wie ich nicht entsprechend würdigt. Ich konnte an diesem unbestreitbaren Fakt nichts Außergewöhnliches finden: Auch Mick Jagger kann sich dem Prozeß der Vergreisung nicht entziehen – irgendwann wäre zwangsläufig ein Präsident aufgekreuzt, der jünger ist. Worauf Clarice ernsthaft verärgert war, als wolle ich ihr einen sehnsüchtig erwarteten Glückszustand nicht gönnen. 1961, bei der Vereidigung John F. Kennedys, sei sie sieben Monate alt gewesen, sagt sie. „Jetzt darf ich auch mal feuchte Augen kriegen.“

Bill Clinton ist zur Zeit von der Aura eines König Arthur an der Tafelrunde der Baby Boomer umgeben. (Fast) alles, was er tut, ist gut und schön – selbst das morgendliche Joggen.

Am Laufstil hat sich natürlich nichts geändert: Der Mann will weiterhin nicht wahrhaben, daß der Mensch nur kurzzeitig mit beiden Beinen vom Boden abheben kann. Aber was im Wahlkampf als schwerfälliges Watscheln angesehen wurde, gilt jetzt als präsidiales Traben.

In Washington harrt man nun der Krönung des neuen Präsidenten am Mittwoch und freut sich auf all die kleinen und großen Wunder, die in den nächsten vier Jahren folgen sollen. Die Gastronomen hoffen auf jüngere Kundschaft, die das Nachtleben nicht um 24 Uhr vor dem Fernseher mit Ted Koppel's Nightline abschließt. Die Health Food-Lobby glaubt an den Durchbruch von Broccoli und Naturreis auf dem Speiseplan des Weißen Hauses, McDonalds an weitere Morgenbesuche des Präsidenten nach dem Joggen. Die Umweltschützer erwarten nach zwölf Jahren republikanischer Finsternis die grüne Erleuchtung – auf daß sich das Ozonloch beim Klang der drei magischen Silben clin-ton-goooaar vor Schreck von selbst zusammenzieht.

FriedensaktivistInnenen, denen der außenpolitischen Machismo seines Vorgängers zuwider war, preisen Clintons Vorliebe für herzlichen Körperkontakt und attestieren seinen Umarmungen russisches Niveau. Arms are for hugging, hieß ein populärer Slogan der Friedensbewegung. „Vielleicht lädt er Saddam zum Staatsbesuch ein“, meint Clarice, „und knutscht ihm einfach die Luft weg. No-Air-Zone statt No-Fly-Zone.“

Im übrigen ist sie felsenfest überzeugt, daß es in den nächsten vier Jahren in Washington mehr Radfahrer, weniger Korruptionsskandale und attraktivere Männer geben wird. „No more Fitzwaters“, sagt sie. Wenn ich ganz zaghaft einwende, daß diese Art von Weihnachtsstimmung überhaupt nicht zu ihrem kritischen Verstand paßt, dann attackiert sie meinen wunden Punkt: Hinter meiner Skepsis verberge sich der pure Neid.

Da war zum Beispiel kurz nach dem Wahlsieg jene euphorische Pressekonferenz in Little Rock, auf der Ritter Bill versprach, die Wirtschaft zu sanieren, das Recht auf Abtreibung zu sichern, Schwule und Lesben vor Diskriminierung in der Armee und die haitianischen Flüchtlinge vor der Abschiebung zu schützen.

Da saßen wir beide gerührt vorm Fernseher und Clarice wollte den Namen eines einzigen deutschen Politikers wissen, der nach seiner Wahl zum Regierungschef als Fürsprecher der Frauen, Homosexuellen und Asylsuchenden auftreten würde. Ich schloß konzentriert die Augen – und es blieb dunkel.

Oder der inzwischen sagenumwobene „Wirtschaftsgipfel“ in Little Rock, wo Clinton zwei Tage lang Referate und Diskussionen der besten Ökonomen und Sozialwissenschaftler moderierte – und mindestens so schlau war wie die Experten. „Stell' dir mal deinen Bundeskanzler in dieser Rolle vor“, sagte Clarice. Mir wurde wieder schwarz vor Augen.

Ein paar Wochen sind seitdem ins Land gegangen. Die haitianischen Flüchtlinge mußten inzwischen den Unterschied zwischen Wahlversprechen und Realpolitik zur Kenntnis nehmen, Schwule und Lesben könnten demnächst eine ähnliche Erfahrung machen. Für all die liberalen Lobbygruppen und aufrechten Aktivisten, denen unter Reagan und Bush der Wind ins Gesicht blies, gilt, was Franklin D. Roosevelt einst einer Bürgergruppe nach einer Unterredung mit auf den Weg gab. „Sie haben mich auf Ihrer Seite. Jetzt gehen Sie raus auf die Straße und zwingen mich, es auch zu tun.“

Davon will Clarice die nächsten 72 Stunden nichts hören, in denen die Amtseinführung von Clinton mit einer gigantischen Dauerfete vollzogen wird. Erster Höhepunkt: Ein Feuerwerk zeichnet die Silhouette des neuen Präsidenten in den Himmel. Mit Saxophon. Ob ich mir das bei Helmut Kohl vorstellen könnte, fragt sie. Oh, shut up. Andrea Böhm