Leukämie am AKW: Neue Fälle, alter Streit

■ Blutkrebserkrankungen in Brunsbüttel gemeldet / Wissenschaftler zanken weiter um Baumscheiben / Betroffene genervt

gemeldet / Wissenschaftler zanken weiter um Baumscheiben / Betroffene genervt

Neue Leukämiefälle in Brunsbüttel und der unmittelbaren Umgebung des Atomkraftwerks. Hannelore Schonberg vom Verein „Eltern für unbelastete Nahrung“ informierte das Kreisgesundheitsamt in der vergangenen Woche über drei Erwachsene, die an Blutkrebs gestorben sind und eine 20-jährige Leukämiekranke.

Ihr Mann, der als niedergelassener Arzt in Brunsbüttel arbeitet, habe darüberhinaus gerade von Kollegen erfahren, daß im Ort vier Kinder und zwei Jugendliche an Krebs leiden, vier von ihnen an Blutkrebs, teilte Schonberg gestern der taz mit. Auch ein jugendlicher Patient ihres Mannes sei an Leukämie erkrankt. Der Verein ruft die Bevölkerung auf, alle bisher nicht registrierten Krebsfälle an die Gesundheitsämter zu melden. Erneute Hinweise für einen Zusammenhang zwischen Atomkraftwerken und Blutkrebs?.

Derweil geht der Wissenschaftlerstreit um die Ursachen für die hohe Rate von Leukämieerkrankungen in der Nähe des AKW Krümmel und des Kernforschungszentrums in Geesthacht weiter. So bekam die taz Post vom „professionellen Nebelwerfer“, wie sich Absender Professor Horst Jung in seinem Schreiben selbst titulierte. Der Hamburger Strahlenbiologe reagierte darin empört auf einen taz-Artikel vom 2. Dezember, in dem Ralf Stegner, Sprecher des Kieler Energieministeriums zitiert worden war, der Jung den Titel „Nebelwerfer“ verliehen hatte.

Zankäpfel sind nach wie vor die Baumscheiben aus der Elbmarsch, in denen der Münchner Strahlenbiologe Edmund Lengfelder mit Hilfe strahlenempfindlicher Filme radioaktive Ablagerungen entdeckt haben will. „Mittlerweile ist durch seriöse wissenschaftliche Untersuchungen an den Universitäten Kiel, Göttingen und München zweifelsfrei nachgewiesen, daß die Filme absolut ungeeignet sind, um Baumscheiben auf Radioaktivitätsgehalt zu untersuchen“, hält Jung seinem Kollegen entgegen.

Auch das Kieler Umweltministerium hat sich inzwischen in den Streit eingeschaltet. Es teilt mit, daß die bislang von verschiedenen Wissenschaftlern veröffentlichten Messungen von Baumscheiben aus der Elbmarsch nach Meinung der Behörde noch zu keinen eindeutigen Ergebnissen geführt hätten. Die voreilige „Freisprechung“ der Kernernergie als mögliche Ursache für Leukämie-Erkrankungen, wie sie in den letzten Monaten von Befürwortern der Atomenergie öffentlich vertreten wurde, sei „verantwortungslos“

Kritik am Wissenschaftsstreit auch von den Betroffenen: Für die Bürger seien die harten Auseinandersetzungen zwischen Wissenschaftlern, Behörden und Politikern in den vergangenen Wochen unverständlich gewesen, erklärte Uwe Harden, Sprecher der Bürgerinitiative gegen Leukämie in der Elbmarsch. Festzustellen sei, daß als Ursache für die Leukämieerkrankungen nach wie vor in erster Linie radioaktive Strahlung in Betracht komme.

Harden forderte die Betreiber des AKW Krümmel auf, den Reaktor so lange stillzulegen, bis endgültig geklärt ist, ob die Leukämieerkrankungen von Kindern in der Umgebung vom AKW verursacht wurden oder nicht. Vera Stadie