Nicht „Mädchen", sondern starke Frauen

■ Premiere: „Übermütige Mädchen" der schottischen Autorin Rona Munro, aufgeführt von Peter Kühn im Concordia

Das Stück „Übermütige Mädchen“ hatte gestern als deutsche Erstaufführung im Bremer Concordia-Theater Premiere. Mädchen aber, noch dazu übermütig, hat der Regisseur Peter Kühn wirklich nicht inszeniert. Aus gutem Grund. Er hat den Wortsinn des Titels „Übermütige Mädchen“ als eine Verniedlichung durchschaut, die Frauen vor allem dann als „Mädchen“ bezeichnet, wenn sie stark sind.

Daß der Titel aus der Feder der schottischen Feministin Rona Munro stammt, stützt seine Interpretation: Munro ist eine Meisterin der Mimesis. Indem sie, Autorin und Frau, die landläufige Herabwürdigung von Frauen zu „Mädchen“ zum Titel ihres Stückes erhob, ironisiert sie die Verhältnisse mit einem Sarkasmus, der das ganze Stück charakterisiert.

Das Setting (mit wenigen Requisiten macht Walter Vogelweide sehr viel): Ein Wohnzimmer, ärmlich aber mit Stil, im nordirischen Belfast. Draußen ist Krieg. Drinnen, im Wohnzimmer von Marie Donnelly (Cornelia Kempers) sitzen ihre Freundin Cassie Ryan (Marion Reuter) und deren Mutter Nora (Brigitte Kahn). Alle Frauen haben ihre Ehemänner durch den Krieg verloren, sie sind tot oder in Haft. Marie, Nora und Cassie verbringen viel Zeit miteinander. Ihre Beziehungen sind innig und heftig, miteinander und gegeneinander, mal kreuz, mal quer, bilden sie Allianzen. Ihr Alltag ist alles andere als beschaulich.

Die grelle Beleuchtung des ersten Bildes, die schwarze Bühne in weißem Licht, verstärkt diesen Eindruck. Kinder kreischen, Waschmaschinen laufen über, draußen brennen Autos und doch - irgendwie verrückt — bewahren die Frauen Humor. Wenn sie über die Männer lachen, zum Beispiel. Als wären deren Gemeinheiten im Ernst nicht zu ertragen.

Gemeinheiten wie damals, als Noras Mann der Katze den Schwanz abschnitt, um das Tier, als Hund verkleidet, in Noras einzigem Angora-Pullover eingenäht, die Gartenmauer hochzujagen. Es war eine Wette gewesen, im Suff haben seine Kumpane, die Männer von Cassie und Marie, nicht gemerkt, daß es gar kein Hund war.

Beeindruckend, daß es solche Frauen gibt: Sie sind keine Opfer, sie lassen sich nicht in die Geschichten der Männer verstricken, die ihre Freundinnenschaft nicht zerstören konnten. Sie lachen gemeinsam, aber jede auf ihre Art.

Die Humorlinie des Stückes verläuft ungewohnt hart an der Schmerzgrenze. Es ist auch nicht lustig, wenn Brigitte Kahn als Nora hemmungslos lacht, bei der der Erinnerung daran, wie sie fast am eigenen Gebiß erstickt wäre: so brutal schlug der Polizist sie, der den Schwiegersohn abführte. Noras Lachen erschreckt, weil es so zynisch ist.

Die gnadenlose Ehrlichkeit der Frauen mit sich selbst, von den Schauspielerinnen eindringlich gespielt, macht das Stück brisant. Die ironische Intonation einzelner Silben distanziert die Frauen von den schrecklichsten Erfahrungen — und wenn sie laut werden, und für sich selbst eintreten, möchte man unwillkürlich klatschen. Für Nora zum Beispiel, die Älteste.

Sie ist eigentlich impertinent. Und liebenswert zugleich. Wie sie auf der pfirsichfarbenen Innendekoration ihrer Wohnstube beharrt, das ist Eigensinn. Sogar stehlen würde sie dafür: unter fremdem Namen einkaufen, nennt sie das. Aber Nora ist weise: „Ich könnte viel sagen. Ich habe ein Gedicht parat wie jeder andere auch. Ich könnte reden, daß es die kleinen Härchen aus euren Nasen brennt. Aber kann mir jemand sagen, was das Reden für einen Sinn haben sollte?“ Als sie ihre Stimmlage ändert, geht auch ihr Blick unter die Haut: „Ich muß einen Mann treffen, es geht um 15 Yards pfirsichfarbenes Polyestergemisch.“

Jede der Frauen ist eine Persönlichkeit, die weiß was sie will. Jede der Frauen wird überzeugend gespielt, auch Deirdre, die mystische Fremde, gespielt von Julia Wolf . Alleine in die „Übermütigen Mädchen“ zu gehen, hieße auf die Gelegenheit zu spannenden Nachgesprächen zu verzichten. Eva Rhode

Do., Sa. und So. um 20 Uhr