Betteln gehört zum Leben nur einiger Roma

■ Bremer Sinti-und Romaverein wendet sich gegen Diffamierung / „Warum werde ich beleidigt, obwohl da irgend jemand bettelt?“

„Betteln gehört zur Kultur der Roma.“ Nachdem unter dieser Überschrift am 13.1. ein Interview in der taz erschien, meldete sich der Bremer Sinti- und Romaverein zu Wort: Mit solchen Artikeln würde ein ganzes Volk diffamiert. Der Vorstand des Vereins diskutierte mit der taz.

Detlef Marzi, Leiter der Beratungsstelle für Sinti- und Roma und Geschäftsführer des Bremer Roma- und Sinti- Vereins: Gerade in einer solch kurzen Zeile wie „Betteln gehört zur Kultur der Roma“ wird in zwei, drei Worten eine ganze Volksgruppe pauschal diffamiert. Man müßte zwar über den Kulturbegriff reden. Aber in letzter Zeit wurde, wann immer Meldungen über Roma in der Zeitung erschienen, pauschal gesagt: „Die Roma betteln, die Roma betrügen, die Roma klauen.“ Dies bestärkt ein jahrhundertealtes Vorurteil. Es gibt 13 Millionen Roma. Und wir wissen über die Kultur der Roma sehr, sehr wenig.

taz: Die Überschrift bezog sich auf ein Interview mit einem Soziologen, der sich speziell mit Roma in Osteuropa beschäftigt hat. Da steht: ...gehört zur Kultur der Roma.

Detlef Marzi: Da steht aber „Erwerbstätigkeit“, nicht Kultur.

taz: Hintergrund des Gesprächs mit dem Soziologen György Szabo ist aber in der Tat ein bestimmter Kulturbegriff. Wenn ein Volk, eine Ethnie wie die Roma, über Jahrhunderte gezwungen wurde, ihre Berufe aufzugeben...

Lolek Kwiek, seit 1957 in Deutschland lebender Roma: Das kann sich nur auf Rumänien beziehen. Bitte schreiben Sie dies auch so, daß jeder Laie versteht, was mit „ethnischer Minderheit“ gemeint ist. „Kultur der Roma“, das kann man nicht verallgemeinern. In Italien oder Spanien wird auch gebettelt, und das sind keine Roma.

taz: Es ist richtig, daß dieses Interview sich auf eine bestimmte Gruppe von Roma bezog. Betteln gehört doch genau so zur Armut. Auch dies kann man als Kultur bezeichnen.

Lolek Kwiek: Wozu dann diese Kategorie Roma?

taz: Die Leute, die in der Stadt betteln, sind doch auch Roma, vielleicht arme Roma...

Detlef Marzi: Wer weiß denn überhaupt , daß dies Roma sind? Herr Kwiek wurde angerufen, daß hier Leute sitzen und betteln. Wie kommt es im gleichen Augenblick zur Assoziation „Roma“? Wie wirken denn da Vorurteile?

Michael Wagner: Nach dem 3. Reich hat man die Sinti und Roma kriminalisiert. Ihre Wiedergutmachungsanträge gingen gleich zur Polizeisonderstelle. Man hat einfach gesagt: Diese Volksgruppe war kriminell, deshalb waren sie in den KZs.

Ewald Hanstein: Wir sind Deutsche: Unsere Kinder gehen zur Schule, wir leben genau wie Nicht-Sinti. In den Ferien gehen wir mit unseren Kindern auf Reisen. Das ist unsere Tradition, und die wurde von den Nicht- Sintis übernommen. Wenn wir früher mit unseren Campingwagen kamen, hieß es: jetzt kommen die Zigeuner. Und wer reist heute? Die Nicht-Sintis.

Wenn hier stünde: „Reisen gehört zur Kultur der Roma“, würde unsere Diskussion ganz anders laufen...

Lolek Kwiek: Wir sind Nomaden und wollen dies bleiben.

Detlef Marzi: Ein Widerspruch.

Lolek Kwiek: Die Rasse... ich reise auch sehr gerne — für ein paar Wochen, wenn ich die Zeit habe und die Möglichkeit.

Ewald Hanstein: Das hat aber nichts mit Nomaden zu tun, das tun alle Menschen.

Lolek Kwiek: Als Nomade war ich Sommer wie Winter auf der Reise. Seit wir uns integriert haben, nehmen wir die Gelegenheit wie jeder andere Bürger wahr. Und wir arbeiten dafür, daß wir vom Staat anerkannt werden. Mit so einem Titel ist aber plötzlich alles umsonst.

Ewald Hanstein: Deshalb wehren wir uns ja auch gegen Ihre Schlagzeile.

taz: In dem Interview wurde aber auch gesagt, daß man den Menschen da helfen muß, wo sie die Probleme in ihrem Land haben. Das Gespräch mit Herrn Szabo sollte auch zeigen, daß Betteln den Menschen aufgezwungen wurde, weil sie jahrhundertelang außerhalb der Gesellschaft standen.

Ewald Hanstein: Das wird von der Allgemeinheit aber nicht so

Roma und Sintio haben Angst vor Anschlägen. Die Demonstration für ein Holocaust-Mahnmahl in Berlin überließen sie ihrem Vereinsvorstand.

verstanden. Deshalb ist die Überschrift diskriminierend, denn sie meint alle Roma.

Lolek Kwiek: In Bremen gibt es rund 400 Roma, ob sie da sind oder außerhalb oder ob sie wiederkommen... Aber in der Fußgängerzone haben wir doch höchstens 20. Vergangene Woche habe ich zwei oder drei gesehen. Eine Frau aus Jugoslawien, als Kriegsflüchtling. Mit dem Sozialamt hat sie gar nichts zu tun. Sie wollte nur die paar Mark haben. Von unserer Beratungsstelle hier hat sie gar nichts gewußt. Ich habe auch zwei bettelnde Kinder in der Fußgängerzone angesprochen. Die haben mich gar nicht verstanden, die konnten gar kein Romanis.

Detlef Marzi: Es fällt aber doch auf, wie aus einem Problem die

Mann am

Rednerpult

ser 20 Leute, einem gesellschaftlichen Problem und einem Propagandaproblem der Frau Schreiber — wie daraus innerhalb weniger Tage ein Problem der Roma wird.

taz: Herr Kwiek, Sie sprechen Romanis — beteiligen die Behörden Sie?

Lolek Kwiek: Seit fast zwei Jahren weiß der Senat, daß ich für die Roma im Verein arbeite. Wenn uns Probleme bekannt sind, gehen wir da hin und versuchen, sie aus der Welt zu schaffen. Und ich kümmere mich auch persönlich um die Leute, es interessiert mich, wie sie leben.

taz: Es wurde behauptet, viele der bettelnden Roma kämen von außerhalb.

Lolek Kwiek: Das ist möglich. Ich wohne jetzt in einem kleinen

Nest und da gibt es kein Betteln. Wer bettelt, kommt nach Bremen. Ich kann mir deshalb gut vorstellen, daß die Leute, die hier sitzen, nicht aus Bremen kommen. Und: Wenn etwas passiert, sind wir die Dummen. Die Behörden und die Medien leisten da Vorschub. Es ist doch abzusehen, wann wir Opfer von neofaschistischen Anschlägen werden.

Michael Wagner: Die Roma und Sinti sind für bestimmte Dinge Blitzableiter.

Lolek Kwiek: Wenn Neonazis eine Roma-Frau betteln sehen und sie verprügeln: Wer ist verantwortlich?

Detlef Marzi: Die Angst dieser Menschen können wir Nicht- Roma gar nicht verstehen. Sie reagieren aufgrund ihrer Erfahrungen. Zur Demonstration für ein gemeinsames Holocaust- Denkmal in Berlin sind viele nicht mitgefahren: Weil sie sich nicht auf die Straße trauen. Diese Menschen wollen keine Zielscheibe abgeben, diese Angst muß man ernst nehmen.

taz: Manche benutzen gezielt das Image der Roma, um zu betteln, und sind gar keine. Und diese Leute füttern das gängige Klischee: mit entsprechender Kleidung, Kopftüchern, Schmuck und ihren Kindern im Arm. Das muß man auch benennen. Ich habe auch nicht aufgebracht, daß Roma in der Fußgängerzone betteln.

Lolek Kwiek: Auf die Wortwahl kommt es an. Und man darf nicht verallgemeinern. Wenn da einer bettelt, dann soll man ihn fotografieren und nennen, aber nicht „die Roma“ und damit uns alle. Warum werde ich beleidigt, obwohl da irgend jemand bettelt? Gespräch: Birgitt Rambalski