■ Die Frau des Mafiabosses Riina stellte sich den Behörden
: „Mein Mann ist viel zu gut!“

Palermo (taz) – So ganz ist noch nicht heraus, was für Italiens Blätter am Ende mehr hergibt: die spektakulär unblutige Verhaftung des meistbeschuldigten Mafiabosses Salvatore „Toto“ Riina vergangenen Freitag – oder die „ganz normale“ Heimkehr seiner Frau und seiner vier Kinder (zwischen 12 und 19 Jahren) nach Corleone, der Geburtsstadt des „capo dei capi“ der Cosa Nostra. Um die der Presse nur aus eindrucksvoll schönen Fotos bekannte, derzeit außerhalb des Hauses ihr Haupt verhüllende Antonietta Bagarella-Riina ranken sich mittlerweile fast schon so viele Gerüchte wie um „Toto“.

Sie habe, sagt sie, seit ihr Mann untergetaucht ist, an seiner Seite gelebt, und das ist seit 1968, also fast ein Vierteljahrhundert. Für die italienischen Behörden eher eine neue Ohrfeige denn eine sachdienliche Information: Können sie ihre Mißerfolge bei der Fahndung nach Riina immerhin noch mit dem fast völligen Mangel brauchbarer Fahndungsfotos begründen, so existieren von seiner Frau zahlreiche und durchaus gut erkennbare.

Vier Kinder hat sie zur Welt gebracht – keineswegs im Untergrund, sondern ganz „normal“ in einem der angesehensten Privatkrankenhäuser Palermos. In die Schule sind sie nicht gegangen – für Frau Riina war das jedoch kein Problem: Sie ist selbst Lehrerin und hat ihren Töchtern und Söhnen eine „entsprechende Erziehung und Bildung zuteil werden lassen“.

Wie diese Erziehung aussah, suchen die Medien derzeit vor allem aus dem Kaffeesatz zu erkennen – oder aus den wenigen Worten, die sie während der paar Schritte von der Polizeistation zum Auto, mit dicht verhülltem Gesicht, von sich gab: „Schakale“, rief sie den Reportern und Fernsehleuten zu, „Schakale seid ihr!“ Und dem Carabiniere hatte sie, so dieser sichtlich bewegt vor der Kamera, gesagt: „Leider sind wir nun hier, denn wir leben in den Zeiten der ,pentiti‘.“ Pentiti – das sind die Mafiaaussteiger, die derzeit zu Hunderten durch Geständnisse den Kronzeugen-Rabatt zu erhaschen suchen und die nach Meinung von Frau Riina und Gemahl damit ihren Schwur gebrochen haben – den der unverbrüchlichen Treue zur Cosa Nostra und zur Verschwiegenheit über alles, was die Organisation angeht. Und noch etwas hat sie dem Polizisten gesagt: „Mein Mann ist viel zu gut, er vertraut allen.“ Behörden und öffentliche Meinung sind da natürlich ganz anderer Ansicht – schließlich werden dem Mann mehr als 100, vielleicht gar 200 Morde und Mordbefehle angelastet.

Dennoch: Man kann Frau Riina nicht einfach mit ihrem Mann über einen Kamm scheren. Wer das Leben sizilianischer Frauen kennt, weiß, wie wenig Alternativen, wie wenig Wahl, wie wenig Entscheidungs- und Denkfreiheit ihnen ihre Männer zugestehen – und wie aussichtslos die Flucht aus diesem Gefängnis ist. Die Frauen der Vereinigung „Donne siciliane contro la mafia“ können ein Lied davon singen – selbst ihnen, die fast alle von der anderen, der nichtmafiosen Seite kamen, machten ihre Männer oder Verwandten riesige Probleme, als sie sich gegen die Mafia organisierten und damit an die Öffentlichkeit traten. Frau Riina hatte wahrscheinlich nicht einmal die Wahl, wen sie seinerzeit heiraten sollte – eine Verweigerung einem aufstrebenden Mafioso gegenüber hätte den Tod ihrer Brüder, ihres Vaters und ganz sicher jenes Mannes zur Folge gehabt, den sie statt Riina genommen hätte. Wenn sie heute sagt: „Toto war und ist ein vorbildlicher Vater“, ist das sicher weder ironisch noch zynisch gemeint – es ist wahrscheinlich das einzige, woran sie sich nach 23 Jahren unentwegter Flucht, Angst und Schlaflosigkeit festhält. Werner Raith