Kampf um "befreites Territorium"

■ Bosnien: Kroaten greifen Muslimanen an / Gefährliche Eskalation zwischen einst verbündeten Kampfverbänden / Dutzende Tote und Schwerverletzte / Owen und Vance schweigen

Wien (taz) – Dutzende Tote und etwa achtzig Schwerverletzte forderte am Wochenende eine Offensive kroatischer Truppen gegenüber muslimanischen Verteidigungskräften in der zentralbosnischen Stadt Gornji Vakuf. Radio Sarajevo zufolge hat ein kroatisches Kommando auf die meist muslimischen Verteidiger am Freitag das Feuer eröffnet, nachdem sich die örtlichen Verbände geweigert hätten, sich entwaffnen zu lassen. Die Kroaten seien mit einem Panzer und etwa vierhundert Mann in den Ort eingefallen.

Kroatischen Zeitungen zufolge habe die kroatische Kampfbrigade „Eugen Kvarternik“ in Gornji Vakuf nur die Ruhe und Ordnung wieder herstellen wollen, da es in der Vergangenheit zu „Unstimmigkeiten“ zwischen den Verteidigern gekommen sei.

Gab es zwar schon in der Vergangenheit mehrmals Scharmützel zwischen den Kroaten und Muslimanen, so ist dieser neue Zwischenfall in Gornji Vakuf bei weitem der folgenschwerste. Glaubt man Radio Sarajevo, so begründeten die kroatischen Kommandanten ihren Angriff mit der neuen UNO-Friedenskarte zu Bosnien.

Danach wird Bosnien in zehn relativ autonome Regionen aufgeteilt. Die Region Gornji Vakuf fällt dem kroatischen Kanton Nr. 10 zu – so der Plan. Augenblicklich wird diese Region von muslimischen Verbänden gehalten, was kroatische Warlords anscheinend als Dorn in ihrem „befreiten Territorium“ betrachten. Sie wollen sich die einst mehrheitlich muslimische Region mit Waffengewalt aneignen und keine weiteren Verhandlungen auf der Genfer Friedenskonferenz mehr abwarten.

Unterdessen hat der kroatische Präsident Franjo Tudjman den Konflikt unter den Verbündeten nach Informationen von AFP indirekt bestätigt. Er sagte auf einer Veranstaltung seiner Regierungspartei HDZ in Zagreb, die muslimische Führung wolle den Krieg in Bosnien „bis zum Ende“ fortsetzen, während Kroatien Frieden wolle. Kroatien trete zwar für eine Bestrafung des Aggressors in Bosnien ein, müsse sich aber damit abfinden, daß die Trupen der bosnischen Serben oder die jugoslawische Bundesarmee militärisch nicht zu schlagen seien. Der Wiederaufbau Kroatiens sei nicht möglich, solange der Krieg in Bosnien anhalte.

Obwohl das bosnische Verteidigungsministerium am Sonntag dem Sarajevoer UNO-Hauptquatier eine Protestnote wegen des Zwischenfalls in Zentralbosnien übergab, liegt bisher von der internationalen Staatengemeinschaft noch keine Reaktion vor. Die Unterhändler Cyrus Vance und Lord Owen schweigen sich bisher ebenfalls aus. Karl Gersuny