„Absolute Mehrheit nicht gottgegeben“

Hohe Umfrageergebnisse für die „Republikaner“ und ihr schwindender Einfluß in Bonn machen die CSU nervös/ Die Basis murrt, die Parteispitze warnt vor Selbstgefälligkeit  ■ Von Bernd Siegler

Nürnberg (taz) – „Es ist nicht gottgegeben, daß wir in Bayern automatisch über 50Prozent haben, das muß uns klar sein.“ Für Günther Beckstein, Chef des einflußreichen 5.400 Mitglieder starken CSU-Bezirksverbands Nürnberg- Fürth, ist es an der Zeit, mahnende Worte gegen allzuviel Selbstgefälligkeit an seine Parteifreunde zu richten. Der 49jährige Staatssekretär von Innenminister und CSU- Vordenker Edmund Stoiber spürt, daß sich die Stimmung in seiner Partei nach 30jähriger Alleinherrschaft im Freistaat zusehends verschlechtert. Eine Umfrage von CSU-Generalsekretär Erwin Huber bei den CSU-Ortsvorsitzenden hat ergeben, wie distanziert die Basis zu ihren Mandatsträgern in Bund und Land steht und wie sehr sich Parteiapparat und Basis auseinandergelebt haben.

Und das, wo Wählerumfragen die CSU bei mageren 45Prozent zeigen, also gut zehn Prozentpunkte weniger als bei den letzten Landtagswahlen 1990. Während die weiß-blaue SPD vom Tief der Christlich-Sozialen kaum profitieren kann, rangieren die rechtsextremen „Republikaner“ (Rep) zwischen 15 und 18Prozent. „Die eigentliche und entscheidende Auseinandersetzung in Bayern verläuft zwischen der CSU und den ,Republikanern‘“, ist Beckstein, der zweimal vergeblich ins Rennen geschickt wurde, um das rote Rathaus in Nürnberg zu stürmen, felsenfest überzeugt.

Da kommt es der CSU gerade recht, daß ausgerechnet jetzt die Reps vom Verfassungsschutz oberserviert werden. Das sei unter dem Gesichtspunkt „potentielle CSU-Wähler von der Abwanderung zu den Reps“ wichtig, gibt Ministerpräsident Max Streibl zu. Von derlei „wahltaktischen Aspekten“ will der Innenstaatssekretär jedoch nichts wissen. „Wenn ich bei einer Partei Anhaltspunkte für deren Verfassungswidrigkeit habe, ist eine Beobachtung rechtlich zwingend“, argumentiert der gelernte Jurist. Beckstein warnt aber davor, die Rep-Wählerschaft als Rechtsextremisten zu verteufeln. Es sei die Aufgabe der CSU, die von den „Republikanern“ aufgeworfenen Themenbereiche „aufzuarbeiten“.

An dieses „Aufarbeiten“ haben sich in der bayerischen Regierungspartei schon viele gemacht. Umweltminister Gauweiler bedient die Rep-Klientel mit einem strammen Anti-Maastricht-Kurs, Innenminister Stoiber macht keinen Hehl daraus, daß angesichts der Zuwanderung die „kulturelle Identität“ der Deutschen auf dem Spiel stünde, und Ministerpräsident Streibl wettert gegen die „multikriminelle Gesellschaft“.

Die CSU dürfe „nicht nur eine konservative Korrektur“ anderer Parteien seien, mahnt da Fraktionschef Alois Glück in dem 38seitigen Grundsatzpapier seine Parteimitglieder vor einer „Schlagseite“ nach rechts. Die Stärke der Partei liege vielmehr in der Kombination von konservativ und liberal. Dem liberalen Glück gibt es zu denken, daß die Distanz bisheriger CSU-Wähler, die „sich mehr der bayerischen Liberalität und auch dem akzentuiert christlichen Spektrum zurechnen“, in letzter Zeit gewachsen sei. Er warnt daher vor weiteren Strategiediskussionen, etwa einer Abkoppelung aus der Bonner Koalition oder einer bundesweiten Ausdehnung der CSU.

Solcherlei Gedankenspiele stehen bei CSU-Stammtischen und Ortsvereinsversammlungen dagegen hoch im Kurs. Da wird gemurrt über Theo Waigels unglückliche Rolle als Finanzminister in der Bonner Regierungskoalition, da will man es der CDU wieder mal so richtig zeigen wie einst zu Franz Josef Strauß' Zeiten, und da wird heftig mit den Reps geliebäugelt. Auf Parteitagen wie zuletzt im November in Nürnberg wird plötzlich heiß diskutiert. Doch nur wenige gehen dabei so forsch vor wie Klaus Gröber, Ortsvereinsvorsitzender von Berg am Starnberger See. „Solche Jubelgremien können wir nicht mehr oft machen“, kritisierte er die Parteispitze. Gröbers Druck hat einen Grund: In der Basis der von absoluten Mehrheiten verwöhnten Partei geht die Angst um, daß man beim ersten Stimmungstest im Wahljahr 1994, den Europawahlen, die 38Prozent nicht schaffen könnte, die die CSU benötigt, um bundesweit über die Fünf-Prozent- Hürde zu kommen. Eine Angst, die auch die CSU-Spitze nervös macht. In München warnte Ministerpräsident Streibl zur Jahreswende seine Parteifreunde davor, sich für die einzig wählbare Partei in Bayern zu halten. In Bonn forderte Parteichef Waigel ein Machtwort von der CDU-Führung, um ihn gegen Kritiker an seinen Sparplänen in Schutz zu nehmen. In alter CSU-Manier denunzierte der designierte Postminister und Chef der CSU-Landesgruppe in Bonn, Wolfgang Bötsch, die Kritik an seinem Parteichef als „alte Klassenkampfparolen“, doch kein CSU- Parlamentarier wagte es, öffentlich nach dem Rücktritt von Möllemann die Vizekanzlerschaft für Waigel zu fordern. Waigel selbst verlangte zwar eine „schnelle, weichenstellende Kabinettsbildung aus einem Guß“, um dann in vorauseilendem Gehorsam, noch bevor Kohl sein Plazet für Günter Rexrodt als neuen Wirtschaftsminister gegeben hat, dem neuen Mann eine „faire und enge Zusammenarbeit“ anzubieten. Und dann geriet auch noch die Doppelspitze Waigel-Streibl aneinander. Als Waigel vorsichtig die Umbildung des bayerischen Kabinetts als „sinnvoll“ bezeichnet hat, reagierte Streibl unwirsch. „Ich red' ihm in seine Steuerpolitik auch nicht hinein.“

Das Dilemma der CSU ist es, immer nur eine Chance zu besitzen, und das ist der bedingungslose Erfolg in Bayern. Dessen ist sich auch Günther Beckstein völlig bewußt. „Die CDU kann ein Ergebnis von 42Prozent in einem Bundesland oder eine Koalition mit der SPD wie in Baden-Württemberg verkraften.“ Für die CSU sei „aber ein Ergebnis von über 50Prozent in Bayern weitaus bedeutsamer und überlebensnotwendig“. Andere Chancen besitzt die CSU nicht, denn mit ihrem ostdeutschen Ziehkind DSU ist nicht viel Staat zu machen. Die CDU würde am liebsten die DSU vollständig einverleiben und so als unliebsame Konkurrenz ausschalten. Und die DSU selbst driftet zusehends nach rechts ab. In der aktuellen Ausgabe des rechtsextremen Magazins Europa vorn steht der DSU-Landeschef von Sachsen- Anhalt Joachim Auer dem ehemaligen Manager der Skinhead-Band „Störkraft“ Torsten Lemmer und dem Ex-„Republikaner“ und Magazin-Herausgeber Manfred Rouhs Rede und Antwort. Peinlich nicht für Günther Beckstein, der sich selbst eher beim „liberalen“ Flügel der CSU verortet, sondern auch für Generalsekretär Huber, der die DSU gegen alle Widerstände aus der CDU stärker als bisher unterstützen wollte.

Für Beckstein steht aber Bayern im Vordergrund, und da ist längst nicht mehr alles „Spitze“, wie es jahrelang die CSU-Wahlslogans suggeriert hatten. Bayerns Wirtschaft befindet sich auf Talfahrt, nicht nur der Gewerkschaftsbund kritisiert die katastrophale Strukturpolitik der Landesregierung. Die bayerischen Städte opponieren offen gegen die Landespolitik, und selbst CSU-Mandatsträger kritisieren ihre Partei wegen der „zunehmenden Aushöhlung der kommunalen Selbstverwaltung“. Manch einer, wie der erfolgreiche Weißenburger Oberbürgermeister und CSU-Hoffnungsträger Reinhard Schwirzer, droht gar offen mit Parteiaustritt.

Die CSU müsse jetzt hart „gegen die Verfettungstendenzen einer 30jährigen Alleinregierung“ und für jede einzelne Wählerstimme kämpfen, gibt Beckstein die Devise für die kommenden Monate aus. Das klingt nach Offensive, doch um die CSU ist es ruhig geworden. „Wir befinden uns in einer schöpferischen Pause vor dem entscheidenden Wahljahr“, tröstet sich Beckstein. „Wir haben aber durchaus gute Chancen, wieder zur alten Stärke zurückzufinden.“ Schon im nächsten Satz jedoch überwiegt die Skepsis: „Wir haben gute Chancen, aber nicht jede Chance wird genutzt.“