Auch als Zeuge fehlt Erich Honecker

■ Der Wahl-Chilene sollte als Entlastungszeuge aussagen

Berlin (taz) – „In welchem Verfahren sind wir hier eigentlich?“ So fragte ein Verteidiger der im „Honecker“-Prozeß noch verbliebenen Angeklagten: des ehemaligen DDR-Verteidigungsminister Heinz Keßler, seines Stellvertreters Fritz Streletz und des früheren Suhler SED-Bezirkschef Hans Albrecht. Er faßte den Vormittag des 14. Verhandlungstags damit trefflich zusammen.

Trotz Abwesenheit des Ex-Vorsitzenden des ZK der SED drehte sich alles um Erich Honecker. Die Hoffnung der Verteidigung: „Honecker hätte, sofern er nur nach dessen Ausscheiden als Zeuge gehört worden wäre, die alleinige Schuld übernehmen können“ und damit die verbliebenen Angeklagten entlastet, gehört wohl in die Welt des Wunschdenkens. Zumindest die lange Prozeßerklärung des Ex-DDR-Chefs von vor einigen Wochen läßt einen Hinweis auf eine derartige Sicht der Dinge nicht zu. Dennoch begründete die Streletz-Verteidigung einen Ablehnungsantrag gegen den Vorsitzenden Richter Hans Boß und den Beisitzer Michael Abel damit, daß diese rechtsfehlerhaft das Ersuchen der Verteidiger abgelehnt hätten, Erich Honecker als Zeugen zu laden. Nicht nur die erhoffte Entlastung sei vereitelt worden; auch die Auffassung des Gerichts sei falsch, daß Erich Honecker ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht zur Seite gestanden habe. Nach der Entscheidung des Berliner Verfassungsgerichts, so die Anwälte, hätte Honecker die Aussage nicht mehr verweigern dürfen, weil seine strafrechtliche Verfolgung ab diesem Zeitpunkt entfiel.

Nachdem die Entscheidung über den Antrag vertagt worden war, durfte dann erneut Fritz Streletz zur Sache aussagen. In gestochenem Schriftdeutsch versuchte dieser dem Gericht zu erklären, daß die DDR zu keinem Zeitpunkt die volle Souveränität über das Grenzregime innehatte. Keine wesentliche Entscheidung sei ohne Mitwirken der Sowjetunion gefallen. ja