Was immer in den Köpfen von George Bush und Saddam Hussein vorgegangen sein mag, die jüngste Eskalation scheint zunehmend vom Machismo der beiden Golfkriegsgegner geprägt. Der Raketenangriff von Sonntag abend sei eine „rein amerikanische Operation“ gewesen, beeilten sich die Franzosen zu sagen, flogen aber am Tag darauf mit Briten und Amerikanern gemeinsam Angriffe im Süden und Norden Iraks.

Nachholen, was bei früheren Angriffen versäumt wurde

Makabrer hätte der Kontrast nicht sein können: Während in Washington 500.000 Amerikaner mit Feuerwerk den fünftägigen Party-Marathon zur Amtseinführung ihres neuen Präsidenten feierten, erleuchteten Tomahawk- Cruise-Missiles den Himmel über Bagdad. US-Kriegsschiffe hatten nach Angaben des Pentagon am Sonntag 40 Cruise-Missiles vom Typ Tomahawk auf eine militärische Fabrikanlage, rund 13 Kilometer südöstlich von Bagdad abgefeuert. Als Begründung wurde abermals angeführt, daß die irakische Regierung keine umfassende Garantie für die Sicherheit der Flüge von UN-Inspektoren nach Bagdad übernehmen wollte. Am Montag nahmen US-amerikanische, britische und französische Kampfflugzeuge erneut Einrichtungen der irakischen Luftabwehr in der Flugverbotszone südlich des 32. Breitengrades unter Beschuß. Nach offizieller Darstellung wollte man die Ziele treffen, die man beim ersten Angriff am Mittwoch verfehlt hatte. Denn trotz hochgelobter Präzisionswaffen waren knapp zwei Drittel der militärischen Ziele letzte Woche nicht getroffen worden. Mindestens zwei Zivilisten waren am Mittwoch gestorben, als eine Bombe in Wohnhäusern nahe der Stadt Basra einschlug. Beim zweiten Angriff am Montag morgen wurden offenbar auch Bombenangriffe über der nördlichen Flugverbotszone geflogen.

Mit dem Angriff auf die Fabrik in Zafaranieh wollte die Bush-Administration offenbar den irakischen Militärs die Kostspieligkeit der Saddamschen Provokationstaktik deutlich machen. Nach Angaben des Pentagons sei die Anlage sechs Milliarden Dollar wert gewesen und habe Anlagen zur Anreicherung von Uran enthalten. Im Weißen Haus wie im Pentagon war man sich wohl bewußt, daß einige Raketen vom Kurs abkommen oder durch irakische Abwehrraketen auf zivile Einrichtungen gelenkt werden können. Nach Ansicht des britischen Verteidigungsministers Rifkind hatte man jedoch die Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt. Für den Angriff mit Marschflugkörpern habe man die Nacht gewählt, wenn in der Fabrik die Arbeitsplätze verwaist seien. Ausländische Reporter, darunter die CNN-Crew, mögen das anders sehen, nachdem ihre Unterkunft, das Al-Rashid-Hotel, von einem Raketeneinschlag teilweise zerstört wurde. Nach irakischen Angaben kamen 2 Menschen ums Leben, 15 wurden verletzt.

Was immer sonst in den Köpfen George Bushs und Saddam Husseins vorgegangen sein mag, die jüngste Eskalation ist zunehmend vom Machismo der beiden Golfkriegsgegner geprägt. Die letzten Stunden der Amtszeit des scheidenden US-Präsidenten waren folglich von einer gehörigen Portion Hektik und Konfusion geprägt, was selbst innerhalb der Koalition Washington-London-Paris Abstimmungsprobleme hervorrief. Am Freitag war es gut informierten Kreisen zufolge noch Großbritanniens Premierminister John Major, der Bush von einem unmittelbaren zweiten Bombenangriff abriet und vorschlug, die Form zu wahren und die UNO dazwischenzuschalten. Daß es Unstimmigkeiten gegeben haben soll, wies man sowohl in London als auch in Washington auf offizieller Ebene zurück und demonstrierte bei den jüngsten Luftangriffen Schulterschluß.

Dafür distanzierte sich Frankreich gestern deutlich vom Raketenangriff auf die Nuklearfabrik in Zafaranieh. Dies sei eine „rein amerikanische Operation“, erklärte das Verteidigungsministerium in Paris. Französische Streitkräfte seien nicht beteiligt gewesen. Bei den folgenden Luftangriffen auf Ziele im Süden und Norden des Landes flogen französische Mirages dann wieder mit.

Unterdessen ist Bill Clinton, der in 24 Stunden als Präsident der USA vereidigt wird, nach Kräften bemüht, den Eindruck zu widerlegen, er wolle gegenüber Saddam Hussein einen sanfteren Kurs einschlagen. Clinton hatte letzte Woche in einem Interview mit der New York Times erklärt, er könne sich durchaus normale Beziehungen mit Saddam Hussein vorstellen, vorausgesetzt, dieser zeige Anzeichen von Läuterung. „Ich bin Baptist“, erklärte Clinton. „Ich glaube an Bekehrungen auch noch auf dem Totenbett.“ Soviel demonstrativer Glaube an das Gute im Menschen wurde von manchem Kommentator gleich als Angebot zur Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen gewertet. Seitdem übt man sich in der zukünftigen Clinton-Administration in Neuformulierungen unter Umgehung von Dementis. Sonntag nacht, nach seinem rauschenden Einzug in die Hauptstadt, war Clinton, sein Vize Al Gore sowie der Kandidat für das Verteidigungsministerium, Les Aspin, noch vom Vorsitzenden der „Joint Chiefs of Staff“, General Colin Powell, über die Situation im Irak unterrichtet worden. Gestern morgen erklärte Clinton, er stehe voll hinter den Maßnahmen der UNO, Bagdad zur Einhaltung aller Resolutionen zu zwingen. Die Politik der USA gegenüber dem Irak werde auch nach seinem Amtsantritt fortgesetzt. Wie dieser Satz zu interpretieren ist, hängt nach dem 20. Januar vor allem von Saddam Hussein ab. Andrea Böhm, Washington