Standhafter Sinnsoldat

■ Bekannt, vergessen, wiedergefunden am 90. Geburtstag: Jürgen von Alten, Schauspieler, Filmregisseur, Neu-Lilienthaler

Er wohnt so versteckt in Lilienthal, als wollte er nicht entdeckt werden. Aber wenn man ihn findet, dann freut er sich: Jürgen von Alten. Und wenn rüstig nicht so ein herablassendes Wort wäre, könnte man ihn glatt so nennen. Aufgeräumt sitzt er in seinem stolzen Gutsherrensessel und wundert sich ein bißchen über die Aufmerksamkeit, die ihn, den ollen Knaben, seit ein paar Tagen wie ein freundlicher Wind umweht. Alles bloß wegen dem 90. Geburtstag! Immerhin wohnt er seit fünf Jahren um die Ecke von Bremen.

Immer noch ist Jürgen von Alten ein Herr. Es heißt, er war ein schöner Mann. Das sieht man noch, auch wenn die dunklen Möbel Schatten auf ihn werfen und niemand Licht macht. Vielleicht tut das den Augen zu weh, die mühsam schauen; auch die Ohren hören schlecht. Aber ein von Alten bewahrt unbedingt Haltung und Akkuratesse. Da hat er aus Versehen Nachtergreifung statt Machtergreifung gesagt und kann es lange nicht verwinden. Untadeligkeit hat er von der Pike auf gelernt. Und ist vom Vater, ein Generalleutnant mit Stammgut, Pächtern und prinzipiell Gehorchenden, zu Zucht und Erfolg verdonnert worden.

Als der Sohn von seinem Schauspielwunsch spricht, schickt ihn der Vater nach Heidelberg zu den „Vandalen“. Eine einschlägige Burschenschaft, die unbotmäßigem Nachwuchs von Alten Herren die Flausen austreibt. Jürgen von Alten hat Kraft durch Trotz bewiesen, seinen Austritt erbeten und ist Transportarbeiter geworden. Nur kurz. Die Idee vom Schauspielen hatte ihn schon so gepackt, daß er sie umsetzen mußte. Später hat der strenge General dann doch seinen Homburg vor dem Sohn gezogen, als der ihn von der Kurtheaterbühne herab zu Tränen rührte.

Dabei war ihm zu Anfang nicht gleich Talent bescheinigt worden. Der Talentabtaster, den er konsultierte, fand seine Nasenwurzel zu geknickt, entdeckte aber Gottseidank noch eine Beule am Hinterkopf. Zumindest ein Zeichen von Begabung. Nicht immer verquirlt sich Geschichte zu solchen Anekdoten, sondern ist mühsam zu lebendes Leben. Es scheint aber, als hätte Jürgen von Alten eher mehr als weniger Glück gehabt. In Berlin wurde er bald prominenter Regisseur bei der UFA und der TOBIS, drehte etwa 20 größere Filme, haufenweise Kurzfilme und war mit den Großköpfen der Branche auf du und du. Vermutlich war er keiner der Wichtigsten, aber dafür einer der ersten Fernsehregisseure.

Der Vater wars zufrieden: das war die Karriere, die er dem Sohn aufgegeben hatte. Allerdings ohne Knicke. 1937 fiel Jürgen von Alten dennoch mit Hauptmanns „Biberpelz“ in Ungnade bei Goebbels. Der sah Beleidigung des preußischen Beamtentums heraus. Von Alten wurde ein Jahr verboten. Aber auch den ein oder anderen Propagandafilm hat er inszeniert. Etwa „Togger“, über die "Überfremdung" des deutschen Pressewesens. Das mußte man machen, wenn man arbeiten wollte, sagt von Alten. Und emigrieren wollte er nicht, genau wie Gustaf Gründgens: der sprach auch kein Englisch. Also bleiben.

Als einziger prominenter Regisseur wurde er noch mit 43 Jahren eingezogen und hat es bis zum Leutnant gebracht. Da ist er stolz drauf. Leider war der Vater schon tot.

Es ist merkwürdig: Da sitzt man vor einem, dem der Kaiser noch persönlich zugewunken hat, dessen Vater ausgewiesener Vandale war, der sich zwischen Traum-und Pflichterfüllung zu arrangieren wußte — und man ist gradezu unwillig berührt. Und mißtrauisch hellhörig. Und trinkt ratlos Saft, der ist zu kalt und eine Art übertriebene Frische in dieser altdeutschen Reihenhauswohnung. Hilde Seipp, 83, als Operettensängerin damals ebenso bekannt wie ihr Mann, versieht im Hintergrund Zehenspitzen-Dienst.

Bei „Togger“ haben sie sich kennen-und liebengelernt. Häufig war sie Hauptdarstellerin in seinen Filmen. Auch in den ersten Fernsehfilmen, als die Schauspieler noch im Halbdunkel spielen mußten, weil die Kamera nur so die Bilder abtasten konnte. Da mußte jeder Griff und jeder Kuß sitzen. Heute, wo die Bilder davonlaufen, wird Jürgen von Alten zu einem, der sie noch einmal anhalten kann. Vielleicht erkennt man nicht mehr alles, aber ein paar Stellen glänzen noch. Claudia Kohlhase