Sparen bis zum Badewasser

■ Regierung legt „vorläufigen Solidarpakt“ vor/ SPD: „Maßlose Unsozialität“

Bonn (taz) – Auch diese beiden Damen in Halle werden für den „Solidarpakt“ wohl beansprucht werden: wenn „alle politisch verantwortlichen Kräfte“ zusammenwirken müssen, ist keine Zeit mehr „für Wehleidigkeiten, Zaudern, taktische Spielchen und Neiddiskussionen“, wie Erwin Teufel (CDU) gestern schon erwartungsfroh anmahnte. Und nun sind sie raus, die lang und schlecht gehüteten Pläne der Koalition, wie die „Erblast DDR“ abzutragen und das Milliardenloch zu füllen sei – und doch noch immer, nach eigenem Bekunden, „vorläufig“.

Beschlossen wurde in erster Linie eine umfangreiche Sparliste, mit der die Bundesregierung wenigstens die heillosen Schwierigkeiten des Nachtragshaushalts 1993 bewältigen will. Das von Finanzminister Waigel anvisierte Ziel der Ausgabenbegrenzung um 2,5 Prozent wird nun nicht gehalten, der Ausgabenzuwachs wird bei 3 Prozent liegen. Die wegen der schlechten Konjunktur zu erwartenden Mindereinnahmen der Staatskasse in Höhe von fünf Milliarden und die Mehrausgaben für die Bundesanstalt für Arbeit in gleicher Höhe erhöhen die Neuverschuldung. Die von den östlichen Bundesländern geforderten zusätzlichen Haushaltsmittel für 1993 – der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) hatte acht Milliarden veranschlagt – werden unterschritten. Die Sparliste im Sozialbereich reicht vom Kindergeld bis zur Schwimm- und Badewasserverordnung. Das Kindergeld soll künftig „verstärkt einkommensabhängig“, das Erziehungsgeld vom ersten Tag an statt wie bisher ab dem 7. Monat einkommensabhängig gezahlt werden. Arbeitslosengeld und -hilfe werden gesenkt, die Sozialhilfe gekappt. Der Solidarzuschlag zur „Erblastfinanzierung“ soll in jedem Fall erst 1995 wieder eingeführt werden. Steuererhöhungen, mit Ausnahme der Versicherungssteuer und einer möglichen Mineralölsteuererhöhung zur Bahnsanierung, gelten vor allem der FDP als Gift für die ohnehin flaue Konjunktur.

Die Fraktionen von CDU und FDP brauchen offenbar länger, als ihr Führungspersonal vorgesehen hatte, um die Ergebnisse der Endlosberatungen zu verarbeiten. Eine für gestern abend angesetzte Pressekonferenz von Finanzminister Waigel und den Fraktionschefs Solms (FDP) und Schäuble (CDU/CSU) wurde abgesetzt, weil die FDP heute zur Sondersitzung ruft. Obwohl der Bundeskanzler die ostdeutschen Abgeordneten bereits gestern zur gesonderten Besprechung zitiert hatte, monierten einzelne Ostabgeordnete die Pläne weiter. Aus den Unionsarbeitnehmerkreisen war Kritik gegen die Sozialeinschnitte laut geworden.

Neben den Gewerkschaften und zahlreichen Interessenverbänden wandte sich auch die SPD gegen die Pläne. Engholm und Klose bescheinigten den Vorhaben „maßlose Unsozialität“. Er verlangte erneut ein industriepolitisches Entwicklungskonzept für die östlichen Länder, ein Sanierungskonzept für die noch nicht privatisierten Betriebe, neue Arbeitsmarktanstrengungen und Konzepte zur Absatzförderung. Fast beiläufig wandte sich der SPD-Chef von der Idee des Solidarzuschlags bereits in diesem Jahr ab. Auch er hält das aufgrund der konjunkturellen Lage nun nicht mehr für sinnvoll. Tissy Bruns

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